Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Wie Südafrika auch von deutschen Firmen gekapert wurde: Der State-Capture Skandal und seine Aufarbeitung

Mit Präsident Jacob Zuma hat die Korruption in Südafrika neue Dimensionen erreicht, die sogar einen neuen Begriff erforderte: State Capture - eine Form systemischer Korruption, bei der private Interessen die Entscheidungsprozesse des Staates zu ihrem eigenen Vorteil erheblich beeinflussen, ausnutzen oder sogar übernehmen. Der Begriff wurde erstmals um das Jahr 2000 von der Weltbank verwendet, um die Situation in bestimmten zentralasiatischen Ländern zu beschreiben, die den Übergang vom Sowjetkommunismus vollzogen. Er wurde insbesondere auf Situationen angewandt, in denen kleine mächtige Gruppen, die sogenannten Oligarchen, ihren Einfluss auf Regierungsbeamte nutzten, um sich die Entscheidungsfindung der Regierung anzueignen und dadurch ihre eigene wirtschaftliche Position zu stärken. Eine Gruppe südafrikanischer Wissenschaftler:innen entwickelte 2017 das Konzept in einem Bericht über die Vereinnahmung des Staates in Südafrika mit dem Titel "Betrayal of the Promise; How South Africa is being stolen" weiter. Sie betonten besonders den politischen Charakter der Vereinnahmung des Staates und argumentierten, dass in Südafrika eine Machtelite gegen die Verfassung verstoße und das Gesetz breche, um ein politisches Projekt zu verwirklichen, das ihrer Meinung nach mit dem bestehenden Verfassungs- und Rechtsrahmen nicht zu vereinbaren sei.

Die Jahre zwischen 2009 und 2018, in denen Zuma Präsident Südafrikas war, werden als verlorenes Jahrzehnt tituliert. Liest man jedoch den Bericht der Zondo-Kommission, so wird deutlich, dass es sich um eine heillose Untertreibung handelt. Die hilflose Reaktion, die auf den Endbericht von Seiten des heutigen Präsidenten Cyril Ramaphosa folgte, lässt dabei nur erahnen, welche weitreichenden und nur schwer wiedergutzumachende Konsequenzen für die Gesellschaft durch State Capture entstanden sind.

Wie kam es zur Zondo-Kommission

Die Judicial Commission of Inquiry into Allegations of State Capture, Corruption and Fraud in the Public Sector including Organs of State - besser bekannt als Zondo-Kommission oder State-Capture-Kommission, ist eine öffentliche Untersuchung, die im Januar 2018 von Präsidenten Jacob Zuma eingesetzt werden musste, um Vorwürfe von staatlicher Vereinnahmung, Korruption und Betrug im öffentlichen Sektor Südafrikas untersuchen zu lassen.

Bereits 2016 leitete Thuli Madonsela in ihrer Position als Public Protector eine Untersuchung über State Capture ein, nachdem sie zwei förmliche Beschwerden erhalten hatte. Der Public Protector ist in Südafrika eine von sechs unabhängigen staatlichen Institutionen, die in der Verfassung zur Unterstützung und Verteidigung der Demokratie vorgesehen sind. Im November 2016 löste die Veröffentlichung ihres Untersuchungsberichts mit dem Titel „State of Capture“ einen großen Skandal aus. Der Bericht beschuldigte Zuma und andere Staatsbedienstete unzulässiger Beziehungen zur Gupta-Familie und empfahl, Zuma solle eine Untersuchungskommission zum Thema "State Capture" einsetzen. Zuma wehrte sich vor dem Obersten Gerichtshof, doch das Gericht wies seinen Antrag ab und stellte fest, dass die Empfehlung der Public Protector bindend sei und Zuma innerhalb von 30 Tagen eine Untersuchungskommission einsetzen müsse. Der stellvertretende Oberste Richter Raymond Zondo wurde vom Gericht zum Vorsitzenden der Untersuchungskommission ernannt. Die ersten Anhörungen fanden erst statt, nachdem Ramaphosa die Amtsgeschäfte übernommen hatte. Der fast 6000 Seiten umfassende Bericht der Kommission wurde dem Präsidenten zwischen Januar und Juni 2022 übergeben.

Warum eine deutsche Aufarbeitung?

Korruption ist kein südafrikanisches Phänomen, das haben auch viele Menschen in Deutschland spätestens seit den euphemistisch als Maskenaffaire bezeichneten Korruptionsvorwürfen während der Corona-Pandemie erkannt. Und zur Korruption gehören immer zwei: eine Person, die die Hand aufhält und eine, die bereit ist, zu geben.

Wie leichtfertig und gewissenlos deutsche Unternehmen bereit waren, von der State Capture zu profitieren, ist eine der Erkenntnisse, die der Journalist Christian Selz im Auftrag der KASA in seinem jetzt in der Afrika Süd veröffentlichten Dossier herausgearbeitet hat. Dass die Beschäftigung mit den Ergebnissen der Kommission für uns als Solidaritätsgruppen unabdingbar ist, erscheint selbstredend. Dass wir allerdings mit 6000 Seiten überfordert sein würden, auch. Dazu kam die Tatsache, dass im Bericht die Verstrickungen und Verfehlungen deutscher Unternehmen zwar vorkommt, die Kommission ihr Augenmerk aber hauptsächlich auf die Machenschaften der staatlichen Institutionen, halbstaatlichen Unternehmen und der indischstämmigen Gupta-Brüder gelegt hatte. Organisationen wie Open Secrets, die Transnationale Unternehmen seit langem unter die Lupe nehmen, haben oft keinen Gegenpart in den Ländern, aus denen diese Firmen kommen.

Daher beschäftigt sich die deutsche Zusammenfassung der Ergebnisse des Zondo-Berichts in der Hauptsache mit solchen Passagen, die konkret deutsche Unternehmen benennen: die Telekom-Tochter T-Systems, der Softwarekonzern SAP und der Lokomotivenhersteller Vossloh. Und weil es so unglaublich kriminell bei der Zerstörung der staatlichen Fluggesellschaft SAA und deren Deals mit Swissport zuging, stellte Selz diese Geschichte an den Anfang.

Wie weiter?

Es ist unsere Aufgabe als deutsche Zivilgesellschaft, die Ergebnisse aus der Studie und aus dem Kommissionsbericht genau zu prüfen. Daher haben wir als KASA am 16. Juni 2023 zu einer ersten online-Debatte eingeladen und mit Fachleuten weitere Schritte geprüft.  

Miriam Saage-Maaß, Juristin und Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) regte an, zu prüfen, ob Korruption als Menschenrechtsverletzung gewertet werden könne. Der Tatbestand der Korruption sei bereits ein eigenständiger Rechtsbereich und wie Christian Selz ausführte, sind die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in der südafrikanischen Verfassung festgeschrieben. Es wäre also spannend zu recherchieren, wo genau konkrete Personengruppen durch die Korruption direkt Schaden zugefügt worden ist. Ob dies dann juristisch verwertbar sei, stehe auf einem anderen Blatt, jedoch wäre auch mit Expert:innen zu Korruption eine weitere Recherche in diese Richtung durchaus interessant.

Aber allein schon die Tatsache, dass deutsche Unternehmen in diesen Skandal bis hoch in die Entscheidungsgremien verwickelt sind, muss einer breiteren Öffentlichkeit bewusst werden. Allzu oft wird davon ausgegangen, dass deutsche Unternehmen in den außereuropäischen Ländern Gutes tun, indem sie Arbeitsplätze schaffen und „Entwicklungshilfe leisten“, wie es ein ehemaliger deutscher Botschafter in Pretoria gegenüber dem KASA-Team formuliert hatte.

Markus Dufner vom Dachverband Kritischer Aktionär:innen berichtete, dass im Fall des Telekom-Tochter T-Systems inzwischen die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt. Er hat den Fall bereits 2022 auf der Telekom Hauptversammlung angesprochen und von dessen Vorstandvorsitzenden Höttges den Hinweis erhalten, dass sie umfassend mit der Untersuchungskommission kooperiert hätten, deren Bericht jedoch keine Empfehlung beinhalte, gegen T-Systems Südafrika oder einzelne Mitarbeitende des Unternehmens Untersuchungen einzuleiten oder diese strafrechtlich zu verfolgen. Daher wird jetzt mit Spannung erwartet, wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit dem Fall umgehen wird und was das für weitere Strafverfahren bedeuten könnte.

Unbedingt zu prüfen sei auch, so waren sich die Referent:innen einig, in wie weit das Lieferkettengesetz dazu genutzt werden könne, die ökonomische Infrastruktur, die Finanzakteur:innen in Form von Berater:innen, Auditor:innen und vor allem die Rolle der Banken transparenter zu machen und gegebenenfalls Druck auf Nachbesserung im Gesetzt zu erreichen. Welche Rolle kann hier das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BaFa genutzt werden?

Auch die Politik muss nicht nur stärker in die Pflicht genommen, sondern auch besser informiert werden über das, was Unternehmen in den Ländern treiben. Gerade war Wirtschaftsminister Habeck im südlichen Afrika unterwegs, um sich Zugang zu erneuerbaren Energien zu sichern, im Schlepptau eine Delegation unterschiedlicher Unterhemen. Wer hat Einblick in die geschlossenen Verträge, wer kann hier Unternehmensverantwortung sichtbar oder sogar geltend machen? Ein weiteres Thema, dem sich die KASA in den nächsten Monaten annehmen wird.

Die Veranstaltung war ein erster Versuch einer Bestandsaufnahme dessen, was zivilgesellschaftliche Organisationen tun können, in welchen Bereichen sie Einfluss nehmen können. Daran werden wir weiterarbeiten.