Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Das Versöhnungsabkommen zwischen Namibia und Deutschland verschärft die Spannungen in Namibia

Das am 15. Mai 2021 durch die Sonderbeauftragten der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Namibia paraphierte Versöhnungsabkommen unter dem vielversprechenden Titel „Vereint im Gedenken an unsere koloniale Vergangenheit, vereint im Willen zur Versöhnung, vereint in unserer Vision für die Zukunft“ polarisiert die namibische Gesellschaft nach wie vor. Unmittelbar nach der Paraphierung lehnten Vertreter:innen der Ovaherero und Nama das Versöhnungsabkommen ab, weil es ohne ihre Beteiligung zustande kam und Formulierungen enthält, die einer Relativierung der kolonialen Verbrechen gleichkommen. Über diese Gruppen hinaus kritisierten oppositionelle Parteien und sogar einzelne Mitglieder der Regierungspartei SWAPO das Abkommen als verpasste Chance für die Heilung der deutsch-namibischen Beziehungen. Die Stimmung im Lande war so angespannt, dass eine Unterzeichnung dieses Versöhnungsabkommens nicht möglich war. Jetzt kommt in diese Sache wieder Bewegung.

Resignation der namibischen Regierung

In seiner Rede zur Lage der Nation Anfang September erklärte Präsident Hage Geingob, dass er seinen Teil zu den Verhandlungen über den Völkermord beigetragen habe und dass eine Delegation aus Deutschland nach Namibia kommen würde, um sich offiziell zu entschuldigen. Mit dieser Erklärung, die mehr Resignation als Überzeugung verrät, vermittelte der Präsident von Namibia die Nachricht, dass seine Regierung keine neuen Verhandlungen mehr verlangt. Der Eindruck, dass die Regierung aufgrund der heftigen Reaktionen auf das Versöhnungsabkommen neue Verhandlungen gegenüber Deutschland vertreten würde, hatte zu einer Beruhigung der Fronten geführt, die bis vor kurzem zu beobachten war. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Die Gegner:innen des Abkommens verlangen, dass die Regierung es nicht unterzeichnet, solange es keine parlamentarische Resolution dazu gibt. Darüber hinaus wollen sie gegen das Abkommen mobilisieren und, wenn nötig, auch den Gerichtsweg gehen, um die Unterzeichnung dieses Abkommens durch die Regierung zu verhindern. In einem vor zwei Wochen veröffentlichten Interview wiederholte Nandiuasora Uria Mazeingo, Vorsitzender der Ovaherero Genocide Foundation, die Gründe der Ablehnung des Versöhnungsabkommens. Für ihn geht es vor allem um die Art und Weise, in der die Gespräche geführt wurden: „Die Grundlage bzw. der Rahmen ist fehlerhaft, und so ist natürlich auch das Ergebnis dieser Gespräche fehlerhaft. Wir wurden nicht einbezogen, um für uns selbst zu sprechen. Doch wenn Gerechtigkeit für uns hergestellt werden soll, muss sie natürlich auch von uns definiert werden. Deutschland kann also mit der Arroganz seiner Macht reden, mit wem es will; es kann mit der namibischen Regierung reden und sein Scheinabkommen unterschreiben, aber es geschieht nicht in unserem Namen. Es handelt sich um Entwicklungshilfe und hat daher nichts mit Wiedergutmachung zu tun, die die definierte Strafe für das Verbrechen ist, das sie an uns begangen haben"[1], fügt er hinzu. In diesem Interview kündigte er an, dass die Entschuldigung Deutschlands von den betroffenen Gruppen nicht akzeptiert werden kann und bezeichnete die Haltung der Bundesregierung als rassistisch: „Es ist eine rassistische Haltung, aber wir sind nicht überrascht darüber. Auf diese Weise sind sie seit langem mit dieser Frage umgegangen.“ Für ihn und für die Gruppen, die er vertritt, können nicht mal Neuverhandlungen auf der Grundlage des aktuellen Versöhnungsabkommens die Krise lösen. Es bedarf eines Neubeginns der Gespräche auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts. Eine Entschuldigung kommt für ihn im Moment nicht in Frage, weil aus seiner Perspektive Deutschland „praktisch weiterhin das Verbrechen leugnet.“ Dieser klaren Position gegenüber steht die der Bundesregierung.

Deutschland profitiert von der Spaltung in Namibia

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen und der Fraktion DIE LINKE vom 19.07.2022 ist eindeutig: sie sieht keinen Bedarf, das Abschlussdokument des Kolonialdialogs mit Namibia neu zu verhandeln. Die gemeinsame Erklärung sei „ausverhandelt, auch wenn über einzelne Modalitäten der Umsetzung noch Gespräche geführt werden.“ Damit nimmt die Bundesregierung die durch ihre Verhandlungsmethoden verursachten Spannungen in der namibischen Gesellschaft in Kauf. Sie profitiert von den Spaltungen zwischen der namibischen Regierung und den Opferorganisationen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Opfergruppen wollen den Kampf fortsetzen: „Regierungen kommen und gehen, wir werden uns von keiner Regierung zu halbgaren Deals drängen lassen. Denn sie mögen heute die Regierung sein, aber sie werden nicht ewig da sein. Die Stiftung wird sich weiterhin für eine echte Lösung in dieser Frage einsetzen und wird die Scheinversuche dieser und der nächsten hundert Regierungen so lange ablehnen, bis unserem Volk wahre Gerechtigkeit widerfährt.“ Die Gefahr einer Eskalation der Spannungen in Namibia ist nicht zu unterschätzen. Ob so eine Lage eine gute Voraussetzung für die Umsetzung der von der Bundesregierung im Rahmen ihrer Versöhnungs- und Erinnerungspolitik angedachten Entwicklungshilfe ist, wird die Zukunft zeigen.