Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Junge Generation im Südlichen Afrika macht auf sich aufmerksam

Erstaunlich viele junge Menschen haben wir im Laufe unserer Dienstreise in NGOs getroffen, sei es in altbekannten Partnerorganisationen oder in neuen NGOS. Schon bei unserem letzten Besuch in Simbabwe 2019 ist uns aufgefallen, dass der Zimbabwe Council of Churches ein komplett neuen Stab an Mitarbeiter:innen hat, die entweder direkt von der Uni kommen oder von anderen, kleineren NGOs abgeworben wurden. Der ZCC hatte ein Traineeprogramm für Absolvent:innen aufgelegt, um sich den Nachwuchs zu organisieren. Dies macht sich besonders in Krisenzeiten bezahlt, denn kompetentes Personal mit Erfahrung auch im NGO-Sektor ist für eine Zivilgesellschaft enorm wichtig. Besonders dann, wenn die Gesellschaft an sich jung ist, wie etwa in Sambia, oder sehr klein, wie etwa in Namibia. Oder wenn gleichzeitig aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen eine Abwanderung zum Beispiel nach Südafrika gang und gäbe ist.

Simbabwe

Die Situation gerade in Ländern wie Simbabwe ist für junge Menschen extrem problematisch. Ronald Nare, Direktor des ZCC, beschreibt das Land als eine Gerontokratie: die Alten essen die Zukunft der jungen Generation geradezu auf. Sie glauben, das Land zu besitzen, weil sie es „befreit“ hätten und rauben gleichzeitig der jungen Generation alles, was sie für ihre Zukunft braucht. Die informelle Wirtschaft hat einen Anteil von über 60 Prozent, damit steht sie weltweit auf Platz zwei hinter Bolivien. Dies hat gravierende Auswirkungen auch auf den Bildungssektor, denn die Staatseinnahmen schwinden durch fehlende Steuern immer mehr. Für die nachwachsende Generation gibt es keine festen Jobs, keine Sicherheit und damit auch kaum Chance auf Karriere-, und Familienplanung.

Die Corona-Krise hat die Situation wie überall auf der Welt noch verschärft. Im Lockdown nahmen sowohl Gewalt gegen vulnerable und abhängige Personen als auch der Drogenkonsum zu. Vor allem junge Menschen kämpfen mit Perspektivlosigkeit und immer mehr suchen im Suizid einen Ausweg. Ausgeschlossen von jeglicher ökonomischen Aktivität betätigen sie sich oft als selbständige, illegale Minenarbeiter:innen, sogenannte Makorokosa. Ein gefährlicher Job, da es sich meist um verlassene, ungesicherte Schächte handelt und der Ertrag von korrupten Zwischenhändler:innen abgezogen wird.

Dass sich die Kirche besonders um junge Menschen kümmern muss, scheint zumindest beim ZCC klar: es bedarf eines nationalen Jugend-Gipfels, für den die Kirchen einen geschützten Raum zur Verfügung stellen könnten. Dort muss über die Zukunft, über Alternativen und über politische Optionen nachgedacht werden können. Für viele junge Menschen ist Wählen unwichtig geworden. Sie sehen die fehlende Perspektive, das kleptokratische Systemund das Recycling von Politikpersonal als kontraproduktiv für Veränderung, geschweige denn Verbesserung ihrer eigenen Situation. Sie haben die Hoffnung verloren, dass Wahlen diese Probleme lösen können. Daher betreiben sie noch  Wahl-Aufklärung und -Mobilisierung, jedoch nur als einen Teil des wichtigen gesellschaftspolitischen Engagements.

Eine von jungen Akademiker:innen geführte NGO mit dem programmatischen Namen WeLead Trust setzt genau auf diese Kombination. Mit ihrer Kampagne #getonthebus versuchen sie junge Menschen davon zu überzeugen, dass sie sich als Wähler:innen registrieren lassen. Gleichzeitig ist ihr Ziel aber eine Demokratisierung der Gesellschaft. Denn „unser politisches System scheint zwar eine Demokratie zu sein, die Gesellschaft ist es jedoch nicht. Wir müssen Demokratie zu unserem way of life machen“, so die Geschäftsführerin Namatai Kwekweza. Je mehr junge Menschen sich politisch beteiligen und engagieren, desto eher haben sie eine Chance, etwas zu bewirken. Dabei stehen die Transparenz und Accountability ganz oben auf der Agenda. Die eigenen Rechte – und damit die Verfassung – zu kennen ist Voraussetzung dafür. Das junge Team ist hoch motiviert, sitzt in einem modernen Gebäude mit guter Infrastruktur, in dem auch junge Kreative Plätze buchen können und etwa die Webseite oder das Logo für WeLead schufen. Es herrschte eine quirlige Stimmung und zeigt eine ganz andere Welt, wie wir sie etwa von anderen NGOs aus Hinterhöfen kennen. Es ist aber ganz offensichtlich auf die Hauptstadt Harare begrenzt. Unterschiedlicher könnten die Lebensrealitäten junger Menschen zwischen Stadt und Land kaum sein. Patriarchale, traditionelle Strukturen auf dem Land machen es für junge Frauen etwa immer noch schwer, sich selbst zu verwirklichen und ihre Zukunft zu gestalten.

Sambia

Vielleicht ändert sich das gerade in Simbabwe und in Sambia und liegt mit  an den Methoden, mit denen junge Frauen Führungspositionen einnehmen und dennoch Respekt für Tradition und Hierarchien zeigen. Maggie Mapalo Mwape hat die Geschäftsführung von Boniface Mumba beim Centre for Environmental Justice übernommen. Die ebenfalls recht junge Organisation hat ein Projekt mit mehreren Dörfern im Chirundu District, an der Grenze zu Simbabwe. Maggie weiß, wenn sie mit der Dorfgemeinschaft arbeiten will, muss sie die Chiefs und Headman/women mit einbeziehen, muss ihnen Respekt erweisen und kann aber trotzdem emanzipatorische Forderungen formulieren – wie etwa, dass nach jedem Mann bei der Dorfversammlung einer Frau das Wort erteilt wird. Dabei ist es für sich selbstverständlich, dass sie ein Wickeltuch über ihre Hose bindet, um auch hier Respekt zu zeigen.

Bei den Dorfversammlungen, an denen wir teilnehmen können, erstaunt uns, wie viele junge Menschen dabei sind. Es erstaunt deshalb, weil sie sich an der Versammlung an sich beteiligen aber auch, dass sie noch dort vor Ort, ohne wirkliche Perspektive leben, dass sie nicht schon längst in die Stadt abgewandert sind. Das Thema wird angesprochen, von älteren Gemeindemitgliedern: „Wir brauchen Einkommen und Arbeit für die junge Generation, wir brauchen aber auch Strom, damit sie wenigstens ihre Handys aufladen können…“

Zurück in Lusaka treffen wir die Mitarbeiter:innen von Pilato, dem Rapper, Liedermacher und politischen Aktivisten, mit dem wir bereits länger in Kontakt sind. Er hat uns mit seinen Analysen zur politischen Situation Sambias bei unserer Online-Tagung schwer beeindruckt. Und so ist es nicht erstaunlich, dass auch seine Mitarbeiterin Tabita Lilungwe uns mit ihrem Wissen beeindruckt. Die Organisation heisst People’s Action for Accountability and Good Governance in Zambia (PAAGZ) und der Name ist Programm. Und das besonders jetzt nach den Wahlen und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch HH, wie der neue Präsident Hakainde Hichilema überall genannt wird. „Wir können wieder atmen, es fühlt sich an, als wären wir endlich (wieder) frei!“ beschreibt Tabita die neue Stimmung im Land. Aber es bleibt entscheidend, dass die Zivilgesellschaft wachsam ist und auch die neue Regierung zur Rechenschaft zieht – besonders, da es quasi keine Opposition im Parlament gibt, die diese Aufgabe übernehmen könnte. Pilato und seine Truppe organisieren spontane „Parlamentssitzungen“ auf der Straße, geben den Händler:innen auf dem Markt und ihren Kund:innen eine Plattform, über ihre Situation, ihre Wünsche und Forderungen zu sprechen. Sie nutzen die sozialen Medien zur Verbreitung, sind sofort online mit ihren Bildern und Videoclips – wie übrigens auch Maggie, die live von der Wasserknappheit in Chirundu berichtet und O-Töne der Betroffenen einholt.

Namibia

Wir treffen Uhuru Dempers, Urgestein des zivilgesellschaftlichen Engagements im Bereich Grundeinkommen und Landreform. Er erzählt uns, wie er zu seinem 50. Geburtstag, anstatt zu feiern, junge Menschen aus seiner Nachbarschaft zu einer politischen Debatte eingeladen hat. „Sie inspirieren mich mit ihrer Energie“, sagt er. „Wir müssen ihnen Raum schaffen, denn es reicht ihnen nicht mehr aus, nur zu diskutieren, sie wollen Handlungsoptionen erarbeiten und umsetzen.“

Ähnlich wie wir es in Sambia und Simbabwe erlebt haben, sind die jungen Aktivist:innen gut vernetzt, sind sich sowohl der Möglichkeiten als auch der Risiken sozialer Medien bewusst. Mathilda Ndinelao Hinanifa ist Teil des National Youth Councils in Namibia, unabhängige Journalistin und Model… Auch für sie steht das Thema Accountability ganz oben auf der Agenda. Sie beschreibt, wie enttäuscht gerade junge Menschen von Politiker:innen sind, die das Land international vertreten, aber nach ihrer Rückkehr die Bevölkerung im Dunkeln darüber lassen, mit wem sie was besprochen und verabredet haben. „Wir haben echt ein Problem damit, dass sie permanent reisen und sich nicht pensionieren lassen wollen! Es gibt genug junge, politisch aktive und gut ausgebildete Menschen, doch wir kommen nicht zum Zug. Die Alten trauen uns nicht, halten uns nicht für seriös!“ empört sich Mathilda. Die letzten Wahlen haben gezeigt, wie unzufrieden die Menschen in Namibia mit der Politik der SWAPO sind. Noch ist die Opposition zu schwach, zu divers, als dass sie eine echte Gefahr für die Regierungspartei darstellen würde, aber das kann sich schnell ändern. Die Pandemie hat mit dazu beigetragen, dass die Armut in Namibia zugenommen hat. Kein Wunder, dass auch die Kampagne für die Einführung eines Grundeinkommens, BIG, wieder mehr Zulauf erhält. Auch dort sind viele kreative jungen Menschen dabei, den alten Forderungen ein neues Gesicht und mehr Einfluss zu verschaffen. Mit Memes, Videoclips und einer aktiven Präsenz in sozialen Medien verbreitern sie einerseits das Wissen über ein BIG und erhöhen zugleich den politischen Druck für dessen Umsetzung.

Nicht nur in der BIG Kampagne, auch in anderen Organisationen gibt es hier eine intergenerationelle Zusammenarbeit. Schon vor einigen Jahren hat der Gewerkschafter Herbert Jauch darauf aufmerksam gemacht, dass unbedingt junge Menschen wieder als Aktivist:innen geschult werden müssten, dass da großes Potential brach liegen würde. Und anschneidend ist es in einigen NGOs Namibias auch gelungen, die Zusammenarbeit fruchtbar zu machen, so dass die verschiedenen Generationen davon profitieren und die Arbeit bereichern.

Insgesamt waren die Erfahrungen sehr ermutigend und inspirierend. Wir erlebten ein hohes Maß an Pragmatismus und Lösungsorientierung, große Offenheit und wenig Ideologisierung. Das zusammengenommen ist vielversprechend und wir sind auf die eine oder andere intensivere Zusammenarbeit gespannt.