Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Kenneth Kaunda und sein Erbe für Sambia und Afrika

In seiner Kolumne „The Dove which triumphed over hawks and vultures: The Kaunda story“ schreibt der nigerianische Menschenrechtsaktivist, Journalist, Autor und ehemalige Generalsekretär der „Organisation of African Trade Union Unity (OATUU)“ Owei Lakemfa folgendes über den am 17. Juni verstorbenen und am 7. Juli begrabenen ehemaligen Staatschef Sambias, Kenneth Kaunda: „Der neokoloniale Kurs fast aller afrikanischen Staaten, die von ihnen verfolgte neoliberale Politik und ihre volksfeindlichen Programme führen in fast allen Fällen zu ständigen Konflikten zwischen afrikanischen politischen Führern und Arbeitern. Es ist selten, dass Arbeiter ihre politische Elite loben. Daher ist es in der Tat bemerkenswert, dass sie auf kontinentaler Ebene einen bestimmten afrikanischen Präsidenten kollektiv loben und ehren.“[1]

Die OATUU tat dies Kaunda gegenüber bereits zu seinen Lebzeiten, als sie ihn zu ihrer Internationalen Vierjahreskonferenz in Khartum, Sudan, eingeladen hatte, um sich öffentlich bei ihm zu entschuldigen und ihn zu ehren: Entschuldigung aufgrund der Demütigung, die er unter der vom ehemaligen Gewerkschafter und OATUU-Mitglied Frederic Chiluba geführten Regierung Sambias ertragen musste und Ehrung „für seine nachweislich volksverbundene Politik und die von ihm erbrachten Opfer, um den gesamten Kontinent von Kolonialismus und Apartheid zu befreien.“[2] Auch dieser Artikel macht die Anerkennung für Kaundas Beitrag zur Befreiung Afrikas deutlich. Er geht unter anderem der Frage nach, warum Menschen wie Kaunda für die Reflexion der Beziehungen des afrikanischen Kontinents mit dem Rest der Welt so wichtig sind und worauf es ankommt, wenn es darum geht, ihrem Erbe gerecht zu werden.

Kenneth Kaunda und Sambia: die späte Anerkennung

Mit der zweiten Demokratisierungswelle im Zuge des Falls der Berliner Mauer und des Endes des „Kalten Krieges“ kam es auch in Sambia Ende der 1980er Jahre zu Unruhen. Landesweite Demonstrationen zwangen Kenneth Kaunda das Anfang der 70er Jahre durchgesetzte Verbot des Mehrparteiensystems aufzuheben und die politische Landschaft wieder zu öffnen. Die Mobilisierung gegen Kaunda und sein Regime war deswegen auch so stark, weil sich Sambia in den 1980er Jahren aufgrund gesunkener Rohstoffpreise, einer hohen Verschuldung und einiger falscher Entscheidungen in einer tiefen Wirtschaftskrise befand. Bei den Wahlen im Jahr 1990 verloren Kaunda und seine Partei United National Independence Party (UNIP) massiv an Stimmenanteil an die Movement for Multiparty Democracy (MMD), die zu diesem Zeitpunkt vom ehemaligen Gewerkschaftsführer Frederik Chiluba geführt wurde. Kaunda konnte nur 24% und seine Partei nur 25% der Wählerstimmen für sich gewinnen. Dass er sich diesem Prozess freier Wahlen stellte und die Ergebnisse problemlos akzeptierte, sprach für ihn und damit schrieb er Geschichte, denn er war erst der zweite langjährige Staatschef des afrikanischen Kontinents nach Mathieu Kérékou aus Benin, der sich sehr früh zu Beginn der zweiten Demokratisierungswelle der neuen Dynamik auf dem Kontinent stellte. Andere klammerten sich an die Macht, bis sie durch Rebellionen vertrieben wurden, wie Mobutu Sese Seko von Zaire. Wieder andere zogen sich zurück, um bald per Staatsstreich wieder zu kommen, wie Dénis Sassou Ngwessou von Kongo-Brazzaville, andere wiederum wie Paul Biya aus Kamerun haben es geschafft, bis heute an der Macht zu bleiben.

In Sambia hielt die durch den Machtwechsel ausgelöste Euphorie nicht lange an. Schnell wurde deutlich, dass die neuen Machthaber zu autokratisch wurden, dass die Korruption zunahm und die sozio-ökonomische Lage sich verschlechterte. Dies zog sich während der gesamten Amtszeit der MMD durch, die 20 Jahre dauerte. Als Ausnahme betrachten Beobachter:innen die Amtszeit von Levy Patrick Mwanawasa von Januar 2002 bis zu seinem plötzlichen Tod im August 2008. Die Amtszeiten seines Vorgängers F. Chiluba und seines Nachfolgers Rupiah Banda gelten als besonders geprägt von Korruption, Ineffizienz der Verwaltung und verschwenderischer Lebensstile der Eliten. Als die MMD in 2011 die Wahl an die Patriotic Front (PF) unter der Federführung von Michael Sata verlor und Sambia einen zweiten friedlichen Machtwechsel zwischen zwei verschiedenen Parteien erlebte, bekam die Hoffnung auf eine entschiedene Bekämpfung der Korruption und Verbesserung der Dienstleistungen des Staates gegenüber den Bürger:innen neuen Aufwind. Diese Hoffnung bestätigte sich teilweise, jedoch wurde ihr mit dem Tod Michael Satas 2014, noch während seiner ersten Legislaturperiode, ein abruptes Ende gesetzt. Nach einer kurzen Transition unter Satas Vizepräsidenten Guy Scott übernahm der jetzige Präsident Edgar Lungu (PF) die Macht. Mit ihm erlebt Sambia eine noch nie dagewesene Autokratie und die Zunahme von Shrinking Space für die freie Presse, die Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen. Unter ihm hat Sambia nicht nur seinen Platz als „Musterschüler“ der Demokratie in der Region verloren, sondern auch als Insel des Friedens und der politischen Stabilität. Je mehr die Zeit verging und je mehr Fehler seine Nachfolger begangen, desto beliebter und populärer wurde Kaunda. Rückblickend waren die Sambier:innen fasziniert von seiner Persönlichkeit und seiner Liebe für Sambia und für Afrika. Konfrontiert mit ihren Staatschefs nach der demokratischen Wende entdeckten die Sambier:innen in Kaunda ersehnte Eigenschaften wie Loyalität, Selbstlosigkeit, Liebe, Hingabe, Ehrlichkeit, Friedfertigkeit und auch Humor. Selbst in politischen Kreisen war die Anerkennung für das, wofür er stand, so groß, dass fast jede:r sich in Sambia mit ihm schmücken wollte. Jenseits dieser späten Anerkennung und Rehabilitation auf nationaler Ebene für jemanden, den sein direkter Nachfolger festnehmen lassen wollte und dem er die sambische Staatsangehörigkeit absprach, sind es die Errungenschaften im Bereich der Wirtschaftspolitik und die Beiträge zur Befreiung Afrikas, die Kaunda zu einer der größten Persönlichkeiten der afrikanischen Geschichte im postkolonialen Kontext machen.

Kaunda und Afrika: Der Kampf um Unabhängigkeit für alle

Wenn es etwas gibt, wofür Kenneth Kaunda in guter Erinnerung bleiben sollte, dann ist es sein Engagement für die Unabhängigkeit, und zwar über Sambia hinaus. Er gehört zu jenen Persönlichkeiten des Unabhängigkeitskampfes, die verstanden hatten, dass auch ihre Länder nicht unabhängig sind, solange es Länder in Afrika gibt, die noch unter kolonialer Herrschaft leiden. So ist Kenneth Kaundas Engagement für die Unabhängigkeit Angolas und Mosambiks und gegen die Apartheid in Simbabwe, Namibia und Südafrika zu verstehen. Obwohl er sich selbst als Pazifist begriff und alles dafür tat, dass Sambia nach innen Frieden bewahrt und sich nach außen an keinem Krieg beteiligt, hatte er keinen einzigen Augenblick gezögert, die Befreiungsbewegungen des afrikanischen Kontinents und besonders des Südlichen Afrika nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern auch, ihnen Heimat in Sambia zu gewähren. Deswegen etablierte der African National Congress (ANC) unter der Führung Oliver Tambos und Thabo Mbekis sein Büro in Sambia, nachdem er und andere Befreiungsbewegungen in Südafrika verbannt wurden. Auch auf kontinentaler Ebene gehörte er zu jenen Staats- und Regierungschefs, die sich konsequent dafür einsetzten, die Unterstützung für die noch nicht unabhängigen Staaten in ihrem Befreiungskampf durch Maßnahmen wie Aussetzung der Überflugrechte und Schließung von Flug- und Seehäfen für Flugzeuge und Schiffe, etwa aus Südafrika, aufrechtzuerhalten.

Mehr noch: Kaunda gehört zu jenen Postunabhängigkeitseliten, die verstanden, dass politische Unabhängigkeit nicht viel bringen würde, solange die Produktionsweise nicht geändert würde, die es den kolonialen Kräften ermöglichte, auch nach den formellen Unabhängigkeiten ihre Macht über die einheimische Bevölkerung durchzusetzen. In diesem Zusammenhang initiierte Kaunda ab April 1948 die sogenannten Mulungushi-Reformen, die darauf abzielten, Sambias Unternehmen in ausländischem Besitz unter die nationale Kontrolle zu bringen. In den folgenden Jahren wurde eine Reihe von Bergbauunternehmen verstaatlicht und eine Landreform umgesetzt. Einzig die Banken des Landes, wie Barclays und Standard Chartered, blieben in ausländischem Besitz. Wichtig zu erwähnen ist, dass Sambia wie viele andere afrikanische Länder ab Mitte der 1970er Jahre unter den gestiegenen Ölpreisen und den gesunkenen Kupferpreisen litt. Die daraus resultierende Wirtschafts- und Schuldenkrise machte es unmöglich, die von Kaunda angestoßenen Reformen fortzusetzen. Dennoch: obwohl er bereits in den 1980er Jahren schon unter starkem Druck internationaler Finanzinstitutionen für eine massive Privatisierung von Staatskonzernen stand, ließ er sich nur zögerlich darauf ein. Kaunda war davon überzeugt, dass eine günstige Konjunktur wieder kommen würde, die die Ökonomie des Landes wieder zum Positiven wendet und seinen Kurs bestätigt. Diese Geduld hatten die Wähler:innen in Sambia nicht, die im Jahr 1990 getrieben von der Demokratisierungswelle auf dem Kontinent und enttäuscht von der ökonomischen Bilanz Kaunda und seine Partei bestraften. Lange dauerte es jedoch nicht, bis sie feststellten, dass die von den neuen Machthaber:innen betriebene Liberalisierung und Privatisierung die Situation der Mehrheit verschlechterte, während eine kleine Minderheit, die in Korruption versank, immer reicher wurde. Diese Maßnahmen der Nachfolger:innen von Kaunda bilden die Basis für die traurige Wirklichkeit heute: Korruption, zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, Land Grabbing, phasenweise hohe Preise für Kupfer und Kobalt, von denen der Staat kaum etwas hat, weil die Minen wieder in ausländischem Besitz stehen.

Angesichts dieser Entwicklung gilt es zu würdigen was das Wirken von Menschen wie Kaunda für Afrika in seinen Beziehungen mit anderen Weltregionen und besonders mit den ehemaligen Kolonialmächten heute bedeutet. Er ist nicht nur ein Symbol der afrikanischen Einheit, sondern auch einer Dekolonisierung, die auch die ökonomische Dimension reflektiert. Die Tragödie vieler afrikanischer Länder ist es nicht, dass die Väter und Mütter der Unabhängigkeit einige falsche Entscheidungen getroffen hätten, sondern vor allem, dass diejenigen, die nach ihnen kamen, in der Regel katastrophaler waren und sind und die Ideale der Unabhängigkeiten verrieten und verraten haben. Sie konzentrierten sich stärker darauf, die vermeintlichen Fehler ihrer Vorgänger:innen als Erklärung für alles auszunutzen, was sie selbst falsch machen, anstatt die guten Ansätze ihrer Vorgänger:innen fortzusetzen. Es scheint, dass die Befreiungsprozesse in vielen Ländern nach der ersten Generation der Freiheitskämpfer*innen in die Hände derer gefallen sind, die sie nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. In den Stunden, in denen sich der Afrikanische Kontinent von Kaunda verabschiede t und des Lebens Nelson Mandelas gedenkt, ist es wichtig, sich darauf zu besinnen, welche großen Berge die Pionier:innen zu besteigen in der Lage waren und dass diese nur ermöglichen, die vielen weiteren Berge zu entdecken, die noch zu besteigen sind.“[3] Kaunda hat wichtige Schritte zur Überwindung des Kolonialismus in seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimension eingeleitet. Diese gilt es reflektieren, um zu verstehen, warum der Tod eines Befreiungskämpfers wie Kaunda ein nicht erwähnenswertes Ereignis in den Mainstream-Medien ehemaliger Kolonialmächte ist.