Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Afrika neu denken - Afrika im Wettlauf um sich selbst

Am Samstag, dem 5. Oktober 2024, veranstaltete die Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA zusammen mit Partnerorganisationen[1] die diesjährige Afrika neu denken Konferenz. Um diese Geschichte zu erzählen, beginnen wir am besten am Ende: Nach einem Tag voller Vorträge, Diskussionen und leckerem veganem afrikanischem Essen betrat Dr. Boniface Mabanza die Bühne und sang "Nkosi Sikelel' iAfrika". Das Lied, 1897 von Enoch Sontonga geschrieben, wurde zu einer panafrikanischen Befreiungshymne, die in Namibia, Tansania, Südafrika, Sambia und Simbabwe während und nach den jeweiligen Unabhängigkeitskämpfen gesungen und Grundlage für einige Nationalhymnen wurde.

Der Text des Liedes spricht von reichlich Segen für Afrika und seinen Völkern und stand, wie Mabanza betonte, in starkem Gegensatz zur Gier und Unterdrückung der damaligen Kolonialregierungen – ein Aufruf zur Liebe angesichts des Bösen. Er erinnerte an 1. Petrus 4,7-11: „Vor allem aber habt untereinander eine inbrünstige Liebe, denn die Liebe deckt eine Menge Sünden zu.“ Genau dieses Gefühl trugen viele von uns nach diesem mitreißenden, spontanen Auftritt mit sich. Diejenigen von uns, die das Lied kannten, sangen mit, alle in ihren eigenen Sprachen, und zusammen fanden wir eine Harmonie, die den Abend mit einem Höhepunkt beendete.

Das war jedoch nur ein Moment von vielen. Tatsächlich gab es so viele großartige Augenblicke an diesem Tag, dass es schwer ist, sie alle in einen Artikel zu fassen – aber ich werde es versuchen. Vier herausragende junge Dichterinnen afrikanischer Herkunft aus dem Ubuntu-Haus-Kollektiv traten an diesem Abend ebenfalls auf. Jede ihrer Dichtungen war einzigartig und zutiefst bewegend: Furat Abdulle behandelte die Suche nach Zugehörigkeit, Fathiya Galaid war eine starke Auseinandersetzung mit Europa, seinen Menschen und Ideen, die Afrika so viel genommen haben, die dritte ein zartes Liebesgedicht einer neuen Spoken-Word-Künstlerin, und Jasmin Uffenbrink  trug ein bekanntes Werk von May Ayim vor. Als schwarze Frau beeindruckte mich besonders das Haar der Dichterinnen: Eine trug lange Zöpfe, kunstvoll ineinander verwoben; eine andere hatte ihr Afrohaar wie einen Heiligenschein um ihr Gesicht drapiert; die Dritte hatte ihre welligen Locken mit einem Mittelscheitel nach hinten gekämmt; die vierte trug ein Kopftuch, ein Zeichen ihres muslimischen Glaubens. Sie trug es mit Stolz und präsentierte ihr Gedicht mit einer beeindruckenden Selbstsicherheit.

Solche Momente veranschaulichen die Idee, Afrika neu zu denken, indem neue Perspektiven geschaffen und gemeinsam hinterfragt werden. Diese Aufgabe übernahm die Moderatorin Jenny Mushegera, was ihr sehr gut gelang. Als Referentin für das Südliches Afrika bei Misereor, kennt sie sich sehr gut mit den besprochenen Themen aus.

Und nun mehr zu Afrika neu Denken.

Die Konferenz Afrika neu denken wurde als Plattform konzipiert, um Diskussionen über Afrika aus neuen, positiven, authentischen und afrikanischen Perspektiven zu gestalten. Die Veranstaltung findet jährlich in Deutschland statt, ist öffentlich und kostenlos. 2024 feiert die Konferenz ihr 11-jähriges Bestehen. Die erste Konferenz 2013 trug den Titel "Potential. Akteure. Zukünftige Wege" und war ein Vorbote des diesjährigen Themas "Afrika im Wettlauf um sich selbst". Da die Welt zunehmend polarisiert wird und geopolitische Machtstrukturen sich verschieben, positionieren sich junge Menschen in Afrika als Gestalter:innen der Zukunft, die sie sich für Afrika wünschen. Ob in Kenia, Senegal, Botswana, Äthiopien oder Nigeria, überall herrscht das überwältigende Gefühl, dass die Zukunft Afrikas von Afrikaner:innen selbst bestimmt werden muss.

Dieses Gefühl wurde in einer Präsentation von Joshua Kwesi Aikins mit dem Titel „Deberlinize yourselves. It’s 2024.“ eingefangen. Nach wie vor wird Afrika noch immer als ein Kontinent betrachtet, der ausgebeutet werden kann und der in vielen Dimensionen benachteiligt ist. Afrika ist am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, wie Aikins feststellte. Er verwendete die ghanaischen Symbole der Akan, Sankofa und Aya. Sankofa ermutigt zur reflektierten Rückschau auf die Vergangenheit, um daraus für Gegenwart und Zukunft zu lernen. Das Aya-Symbol, das einen Farn darstellt, steht für Stärke und Widerstand gegen Unterdrückung. Sein Vortrag führte uns aus dem Abstrakten ins Praktische und öffnete die akademische Welt einem breiten Publikum.

Die zweite Präsentation von Dr. Godfrey Kanyenze war ebenso spannend. Als Ökonom sprach Kanyenze über verschiedene Akteure, die Afrika für ihre eigenen Zwecke manipuliert haben und weiterhin tun. Er selbst drückte sich diplomatischer aus, die Interpretation ist meine eigene. Lustige Anekdote: Ich durfte Kanyenze vom Flughafen abholen, und wir stellten fest, dass er aus der Heimatstadt meiner Mutter stammt. Die Familien kennen sich gut, und eine meiner Tanten beschrieb ihn als stillen jungen Mann in seiner Studienzeit. Heute ist er zwar weniger schüchtern, aber seine Offenheit und sein Optimismus spiegelten sich in seiner Präsentation über die „Alternativen zum Neoliberalismus im südlichen Afrika“ wider. Seine Kernidee war das Engagement der Menschen mit dem Staat. Wir betrachten den Staat oft als von den Menschen getrennt, aber Kanyenze zeigte, wie die Bevölkerung Afrikas ihre Regierungen beeinflussen und das Gemeinwohl fördern kann.

Joshua Kwesi Aikins und Dr. Godfrey Kanyenze leiteten jeweils eine Breakout-Sitzungen zu ihren Themen.  Ein drittes Seminar zur Anerkennung, Rückgabe und Entschädigung des Völkermords an Nama und Ovaherero in Namibia fand ebenfalls statt. Die Hauptrednerin, Prof. Heike Becker von der Universität Western Cape, eröffnete neue Perspektiven auf Jahrzehnte des Aktivismus der Ovaherero und Nama, die inzwischen die Aufmerksamkeit junger Menschen in Namibia gewonnen haben. Dieser Kampf betrifft nicht nur die Anerkennung des Völkermords und seiner Auswirkungen, sondern auch kolonialzeitliche Gesetze, die verschiedene Minderheiten betreffen, sowie die Entfernung physischer Darstellungen des kolonialen Erbes in Form von Denkmälern. Sie verwies auf die Proteste, die während der COVID-19-Pandemie ausbrachen und durch die Armut in Namibia angeheizt wurden. Namibia hat zwar den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen, ist jedoch eine sehr ungleiche Gesellschaft entlang rassischer Linien.

Die Arbeit der Aktivist:innen und traditionellen Führer in Namibia wird weitergehen, ebenso wie die Kampagne „Völkermord verjährt nicht„ in Deutschland. Der Kampf, die deutsche Regierung zur Verantwortung zu ziehen, dauert an. Räume wie "Afrika neu denken" geben uns die nötige Energie und neue Perspektiven für den Weg, zumindest bis zur Konferenz "Afrika neu denken" 2025.


[1] Misereor, Atrium, Diözese Limburg, Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen, Hessen Entwickeln, Evangelischen Landeskirche in Baden, Haus am Dom, Medico International, Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Ubuntu Haus, Arbeitskreis für Menschenrechte in Brasilien, Netzwerk für Förderung Kommunikativen Handelns e.V., La Chantier, Maisha, PendaKenia, Uthukumana Afrika Meine Welt