Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Chemwi Mutiwanyuka ist neue Koordinatorin für die Kampagne Völkermord verjährt nicht - Neuverhandlungen jetzt!

Chemwi Mutiwanyuka kommt aus Simbabwe und promoviert derzeit in Paderborn im Fachbereich Erziehungswissenschaft. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Bildungsfinanzierung in ihrer Heimat. Soziale Themen, vor allem Ungerechtigkeiten und Entwicklung, sind ihr als Christin besonders wichtig. Sie freut sich sehr, bei der KASA zu arbeiten und hofft, dass sie einen wertvollen Beitrag leisten kann. 

Die Kampagne ist…

… ein Bündnis verschiedener Organisationen und Einzelpersonen, die in Solidarität mit den Ovaherero und Nama für eine Anerkennung des Völkermords ohne Wenn und Aber kämpfen! Die meisten unserer Organisationen haben sich im deutschen Kontext den Themen Postkolonialismus, Dekolonisierung und globaler Gerechtigkeit verpflichtet. Zudem haben viele von uns langjährige Beziehungen zu den Organisationen in Namibia, wie der Ovaherero Traditional Authority (OTA), Ovaherero Genocide Foundation (OGF) und der Nama Traditional Leaders Association (NTLA).

Sie fordert:

  • Die JD in ihrer aktuellen Verfassung wird nicht unterzeichnet
  • Deutschland erkennt den Genozid in Namibia vollumfänglich
  • Deutschland verpflichtet sich zu Reparationen
  • Neue Verhandlungen unter Beteiligung der direkt Betroffenen werden angesetzt

Hintergrund

Zwischen 1904 und 1908 begingen die deutschen Kolonialtruppen auf dem Gebiet der heutigen Republik Namibia den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts gegen die Völkergruppen der Ovaherero und der Nama. Schätzungsweise 80 % der damals existierenden Bevölkerung der Ovaherero und 50 % der Nama wurden auf Befehl des deutschen Generals Lothar von Trotha vernichtet. Insgesamt wurden rund 100.000 Menschen ausgelöscht. Die deutsche Vernichtungspolitik erfolgte durch die brutale und bewaffnete Niederschlagung jeglichen anti-kolonialen Widerstands. Das Volk der Ovaherero wurde von den deutschen Kolonialtruppen in die Omaheke-Wüste getrieben, Wasserlöcher wurden abgeschnitten und vergiftet – Zehntausende verdursteten und verhungerten. Zudem wurden die Ovaherero und Nama als Zwangsarbeiter*innen versklavt und mit der Absicht der Vernichtung in brutalen Konzentrationslagern interniert, welche eine Sterblichkeitsrate von bis zu 80% hatten.

Der Völkermord an den Ovaherero und Nama hat bis heute immense Auswirkungen:

  1. Beide Bevölkerungsgruppen haben einen Minderheitenstatus und werden in der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Landschaft Namibias marginalisiert.
  2. Ökonomische Grundlagen wurden vernichtet: der pastorale Lebensstil der Ovaherero und Nama wurde zerstört, ihr Grund und Boden wurde enteignet, ihr Vieh wurde beschlagnahmt und vernichtet. Nach Ende des Völkermordes wurde den Überlebenden der Besitz von Vieh und Land verboten. Bis heute bleibt in Namibia Land ungleich verteilt: die weißen Nachfahren von Siedler*innen besitzen rund 70% der kommerziell genutzten Agrarfläche in Namibia.
  3. Zahlreiche Ovaherero und Nama flohen während des Völkermords nach Südafrika und Botswana. Bis heute leben sie dort, entwurzelt von ihrer einer Heimat in einem Land, in dem sie das Gefühl des Fremdseins stetig begleitet.
  4. Intergenerationelle Traumata: bis heute wurde wenig unternommen, um den Genozid aufzuarbeiten, Erinnerungskultur zu fördern und die Wunden der Vergangenheit zu heilen. Daher sind die betroffenen Communities bis heute mit Traumata konfrontiert, die sich in verschiedensten Formen manifestieren.

Die ‚Joint Declaration‘

Über 110 Jahre verstrichen bis die deutsche Regierung im Jahr 2015 halboffiziell die Taten in Namibia als einen Völkermord ‚aus heutiger Sicht‘ betitelte und bilaterale Verhandlungen mit der namibischen Regierung begann, um einen gemeinsamen Umgang mit dem Genozid auszuarbeiten. Die Diskussionen der zahlreichen bilateralen Treffen ragten vor allem um eine offizielle Entschuldigung Deutschlands und eine angemessene Entschädigung des Völkermords. Diese Verhandlungen resultierten 2021 in der sogenannten ‚gemeinsamen Erklärung‘ (‚Joint Declaration‘), oft auch als ‚Versöhnungsabkommen‘ bezeichnet. Die ‚Joint Declaration‘ ist sehr umstritten und wird von dem Großteil der Organisationen, die die Ovaherero und Nama repräsentieren, abgelehnt und als eine Schande empfunden. Auch zahlreiche Wissenschaftler*innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Menschenrechtsorganisationen in Namibia in Deutschland kritisieren die ‚gemeinsame Erklärung‘. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass Deutschland den Völkermord lediglich als einen Völkermord aus ‚heutiger Perspektive‘ bezeichnet, um juristisch bindende Entschädigungen zu umgehen. Stattdessen bietet Deutschland Entwicklungshilfe in der Form von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren als Entschädigung an. Eine offizielle Anerkennung des Völkermords und direkte Reparationszahlungen an die Ovaherero und Nama bilden keinen Teil des sogenannten ‚Versöhnungsabkommens‘. Zudem wurden die Organisationen, die die Nachfahren der Opfer repräsentieren, wie die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA), von den Verhandlungen ausgeschlossen. Special Rapporteure der Vereinten Nationen kamen 2023 zu dem Ergebnis, dass die Gemeinsame Erklärung durch die fehlende Beteiligung der Opfergruppen an den Verhandlungen internationale Standards im Umgang mit Völkermord verletzt. Zudem fordern die UN-Special Rapporteure, dass Deutschland Reparationen an die Ovaherero und Nama zahlt und keine Entschädigungszahlungen an die namibische Regierung.

Wir schließen uns dieser Kritik an und fordern daher: Deutschland muss den Ovaherero und Nama Völkermord ohne Wenn und Aber anerkennen. Dies beinhaltet:

  • Neuverhandlungen mit den Organisationen, die die Nachfahren der Opfer in Namibia repräsentieren
  • keine Unterzeichnung der sogenannten ‚Joint Declaration‘
  • Zahlung von Reparationen an die Ovaherero und Nama
  • Offizielle Entschuldigung eines deutschen Staatsoberhauptes bei den Ovaherero und Nama in Namibia