Südafrika hat gewählt. Das Ergebnis der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai war vorhersehbar, dennoch wird diese Wahl in die Geschichte eingehen: Der bisher allein regierende African National Congress (ANC) verlor nach 30 Jahren zum ersten Mal die absolute Mehrheit und war deshalb gezwungen, sich Partner zu suchen. Es war ein gutes Zeichen, dass ANC-Präsident Cyril Ramaphosa ohne Umschweife die Niederlage seiner Partei eingestanden hat und unverzüglich Verhandlungen aufnahm. Dies zeigt, wie reif die Demokratie Südafrikas heute, 30 Jahre nach Ende der politischen Apartheid, ist.
Ob wir die mittlerweile gebildete Regierung nun „Koalitionsregierung“ oder „Regierung der Nationalen Einheit“ (GNU) nennen – sie hat tiefgreifende Auswirkungen auf die politische Landschaft Südafrikas. Ob sie die anstehenden Probleme zu lösen vermag, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Wer ist dabei?
In der neuen Regierung sitzen neben den beiden großen Parteien ANC und der von Weißen geführte, wirtschaftsfreundlichen Demokratischen Allianz (DA) neun weitere, kleine Parteien: die sozialkonservative Inkatha Freedom Party (IFP), die rechtsgerichteten Patriotic Alliance (PA), die Partei GOOD, deren Vorsitzende Patricia de Lille früher DA Mitglied und ehemalige Bürgermeisterin von Kapstadt, der eher linke Pan Africanist Congress of Azania, mit der Freedom Front Plus eine weitere rechte, die eher sozialdemokratische United Democratic Movement unter Bantu Holomisa, die muslimische Interessen vertretende Al Jama-ah, Rise Mzansi und die United Africans Transformation.
Ebenso bedeutsam ist allerdings, wer nicht mit dabei ist, nämlich die neu gegründete Partei MK - benannt nach dem ehemaligen militärischen Flügel der Befreiungsbewegung ANC, uMkhonto we Sizwe, und gegründet vom ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma. Sie erreichte aus dem Stand 14,58 Prozent der Stimmen. Diese kamen vor allem aus dem Lager des ANC. Denn die MK nutzte die ANC-Strukturen und speist sich vor allem aus der ethnischen Gruppe der Zulu. Die Art und Weise, wie die MK Wahlkampf führte, das Wahlergebnis anzweifelte und wie Jacob Zuma seine Amtsjahre dazu missbrauchte, den Staat durch Korruption systematisch auszubluten und zu destabilisieren, war für den ANC Grund genug, sich lieber mit der Nachfolgepartei der Apartheidregierung DA an den Verhandlungstisch zu setzen. Ebenfalls außen vor bleiben die eher linksradikalen Economic Freedom Fighters (EFF) mit 9,52 Prozent. Sie haben ihre Basis insbesondere unter den Arbeitern der großen Minenstädte und zeichneten sich in den vergangenen Jahren insbesondere dadurch aus, dass sie das Parlament durch Störaktionen an der Arbeit hinderten.
Herausforderungen
Knackpunkt der aktuellen Koalitionsregierung dürfte die Konsensfindung sein. Denn laut Absichtserklärung müssen alle Parteien zustimmen, damit Entscheidungen gefällt werden können. Dies soll sicherstellen, dass unterschiedliche Standpunkte in den politischen Entscheidungsprozess einfließen. Kommt dieser Konsens jedoch nicht zustande, müssen 60 Prozent der Sitze der Nationalversammlung dafür stimmen. Da weder der ANC noch die DA diese Marke mit Hilfe der kleineren Parteien erreichen kann, müssen sich die beiden großen Parteien einigen.
Der ANC behält bedeutende Kontrolle über Schlüsselressorts und konzentriert sich auf soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Transformation und infrastrukturelle Entwicklung, mit bisher sehr unterschiedlichem Erfolg. Die DA hingegen verfolgt eine neoliberale Wirtschaftspolitik und hatte sich beispielsweise massiv gegen die von Präsident Ramaphosa vor den Wahlen verkündete Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung gewehrt. Konflikte sind aber auch in anderen Bereichen vorprogrammiert, etwa im Umgang mit Geflüchteten, Migranten und Migrantinnen. Und derdamit verbundenen Xenophobie im Land. Die rechtsgerichtete Haltung der PA zu diesen Fragen ist bis dato kompromisslos.
Die Streitigkeiten während der Vorbereitung der GNU zeigen, dass die Parteien noch einen weiten Weg vor sich haben, bevor ihre Beziehungen als stabil und vertrauensvoll bezeichnet werden können. Auch der Versuch, durch eine Erhöhung der Regierungsposten möglichst viele Bedürfnisse nach Einfluss zu befriedigen, ist nur vordergründig ein Lösungsansatz. Die aktuelle Regierung hat die größte Exekutive in der Geschichte des Landes: 32 Ministerinnen und Minister sowie 43 Stellvertretende, während die GNU nach den Wahlen von 1994 aus 27 Ministerinnen und Minister sowie nur 13 Stellvertretnden bestand. Und das, obwohl sie damals mit noch größeren Diskrepanzen zwischen den Regierungs-Beteiligten zu kämpfen hatte. Ganz abgesehen davon, dass ein solch großes Parlament enorme Mittel bindet, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden.
Fazit
Die Regierung der Nationalen Einheit steht vor enormen Herausforderungen. Doch sie bietet auch eine historische Chance. Besorgniserregend ist, dass nicht alle Mitglieder der beteiligten Parteien der GNU zum Erfolg verhelfen möchten. Sie werden versuchen, jede Spaltung zu vergrößern. Doch zunächst gilt es anzuerkennen, dass das Erreichte ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Transformation der südafrikanischen Gesellschaft und zur Stabilisierung der Demokratie sein kann.