Gemeinsames Aide-Mémoire zu Simbabwe

Regelmäßig erhält das Forum Menschenrechte die Möglichkeit, mit dem Außenministerium über menschenrechtliche Situationen in bestimmten Ländern zu sprechen. Dafür werden entsprechend Mitgliedsorganisationen angefragt und gebeten- Aide-Mémoires zu den Ländern zu verfassen. Es ist nun schon gute Tradition, dass Brot für die Welt, Misereor und die KASA ein gemeinsames Dokument zur Lage in Simbabwe zusammenstellen.

Aide-Mémoire aus Anlass des Gespräches mit Außenministerin Annalena Baerbock am 29.08.2022

Beschreibung der Menschenrechtsproblematik

Knapp fünf Jahre nach dem Sturz Robert Mugabes Ende 2017 ist die Menschenrechtslage in Simbabwe besorgniserregend. Trotz Präsident Emmerson Mnangagwas wiederholter öffentlicher Bekenntnisse zu Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien verschlechtert sich die Lage im Lande zusehends. Dies drückt sich insbesondere in den folgenden vier aktuellen Entwicklungen aus:

1. Von Gewalt geprägter Vorwahlkampf

Für Mitte 2023 sind Präsidentschafts- und Parlamentswahlen angesetzt. Die EU-Wahlbeobachtermission hatte bei den Wahlen 2018 zahlreiche Unregelmäßigkeiten festgestellt und die simbabwische Regierung zu grundlegenden Wahlrechtsreformen aufgefordert. Die Follow-Up-Mission der EU stellte im Mai 2022 fest, dass keine der zentralen Empfehlungen final umgesetzt wurde. Dabei befindet sich das Land bereits seit Anfang des Jahres in einem von Gewalt begleitetem Vorwahlkampf. Der Zugang zu Rallyes der größten Oppositionspartei Citizens Coalition for Change (CCC) wurde durch Sicherheitskräfte vielfach behindert. Bei einer CCC-Veranstaltung wurde eine Person durch Sicherheitskräfte getötet, zehn weitere Personen wurden verletzt. Im Mai und Juni wurden zwei CCC-Lokalpolitiker*innen brutal ermordet. Die gezielte Einschüchterung von Politiker*innen und Andersdenkenden, sowie Entführungen und Mord haben System: Regierungskritiker*innen sollen davon abgehalten werden, sich aktiv im Wahlkampf zu engagieren. Besorgnis wecken auch Ankündigungen der Regierung, den berüchtigten National Youth Service wieder einzuführen, der bereits unter Mugabe mutmaßlich für politische Gewalt v.a. in ländlichen und semi-urbanen Gegenden eingesetzt wurde.

2. Einschränkung des Spielraums der Zivilgesellschaft (shrinking space)

Die simbabwische Regierung hat in den vergangenen Monaten mehrere Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, welche den Spielraum der Zivilgesellschaft massiv einschränken werden. Das NGO-Gesetz („PVO Amendment Bill“) zielt darauf ab, unter dem Vorwand des Kampfs gegen Terrorismusfinanzierung die Zulassung von NGOs zu instrumentalisieren und der Regierung weitgehenden Zugriff auf materielle und personelle Ressourcen von NGOs zu gewähren. Regierungskritische Organisationen könnten so ausgeschaltet werden oder sich in vorauseilender Gehorsamkeit weniger kritisch geben. Die Regierung hat zudem eine Anpassung im Strafgesetz angekündigt, welche darauf abzielt, „illoyale“, sprich regierungskritische Meinungsäußerungen ausländischen „Agenten“ gegenüber zu kriminalisieren. Darunter würde sogar der Kontakt zu westlichen diplomatischen Vertretungen fallen. Es wird befürchtet, dass auch der finale Gesetzestext bewusst vage formuliert wird, um der Regierung möglichst großen Ermessungsspielraum bei der Unterbindung kritischer Äußerungen einzuräumen.   

3. Instrumentalisierung der Justiz und weiterer Staatsorgane

In den vergangenen Jahren wurden die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit („rule of law“) zusehends durch die Instrumentalisierung der Justiz für politische Zwecke („rule by law“) ersetzt. Beispielhaft für die schleichende Vereinnahmung des Justizwesens steht die Anhebung des Pensionsalters der Richter am Obersten Gerichtshof von 70 auf 75 Jahre. Dahinter steht das Kalkül, ZANU-PF-treue Richter*innen länger im Amt zu halten. Die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz zeigt sich zudem in zahlreichen politisch motivierten Gerichtsprozessen gegen Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Oppositionspolitiker*innen und der Ungleichbehandlung in der Prozessführung.

Im Juli 2022 wurden die Kommissar*innen der simbabwischen Wahlkommission für die kommende Amtszeit ernannt. Insbesondere die Ernennung der Tochter des aktuellen Vizepräsidenten der Regierungspartei ZANU-PF stellt die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Institution infrage und verdeutlich das Ausmaß, mit dem staatlichen Stellen durch die Regierungspartei kontrolliert werden.

4. Systematische Ressourcenplünderung und Instrumentalisierung von Nahrungsmittelhilfen für politische Zwecke

Neben den staatlichen Institutionen sind auch alle zentralen Wirtschaftsbereiche durch die politischen Eliten vereinnahmt. In einem Klima jahrzehntelangen wirtschaftlichen Niedergangs und Kartellbildung ist wirtschaftlicher Erfolg fast ausschließlich über Verbindungen zur ZANU-PF möglich. Kürzlich wurde bekannt, wie mithilfe eines politischen Patronage-Systems monatlich drei Tonnen Gold mit einem Gegenwert von über 150 Millionen Euro ins Ausland geschmuggelt werden. Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen, die solche Fälle aufdecken, werden teilweise mit dem Tode bedroht oder unter fadenscheinigen Begründungen festgenommen. Diejenigen, die Staatseinnahmen veruntreuen und somit dazu beitragen, dass das Recht der Bevölkerung auf Bildung, Gesundheit, Nahrung und Arbeit unterminiert wird, bleiben unbestraft, solange sie zum Regierungsapparat gehören. Unterdessen setzt die Regierung die angesichts von Dürre und steigenden Lebensmittelpreisen dringend benötigten Lebensmittelhilfen für politische Zwecke ein. Insbesondere zu Wahlkampfzeiten ist dies ein probates Mittel, für die ZANU-PF, über die eigene Wählerschaft hinaus Stimmen zu erzwingen.

Konkrete Anfragen bzw. Empfehlungen

Die Bundesregierung sollte den Dialog mit der simbabwischen Regierung und in verstärktem Maße auch mit Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgebervertretungen des Landes suchen. Dabei sollte sie insbesondere:

  • auf die konsequente Umsetzung der 2013 verabschiedeten Verfassung und auf eine Nichtverabschiedung des geplanten NGO-Gesetzes, sowie der geplanten Reform des Strafgesetzes zur Kriminalisierung ausländischer Kontakte drängen, da diese internationalen Menschenrechtsstandards widersprechen. Simbabwe sollte alle Gesetze im Lichte dieser Verfassung überprüfen und anpassen anstatt sie auszuhebeln.
  • Menschenrechtsverteidiger*innen im Land gezielt unterstützen und besonders exponierten Personen Mehrfachvisa zur kurzfristigen Ausreise erteilen.  
  • ihrer Besorgnis über die Menschenrechtslage öffentlich Ausdruck verleihen, indem zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine hochrangige Delegation aus Deutschland nach Simbabwe reist, die vor Ort sowohl Regierungsvertreter*innen wie auch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft treffen sollte.
  • die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie die institutionelle und finanzielle Stärkung der Wahlkommission und in der Verfassung vorgesehenen weiteren unabhängigen Kommissionen (Kommission für Frieden und Versöhnung, Menschenrechts-, Medien- sowie Gender-Kommissionen) und ihre effektive Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren anmahnen.
  • auf sektorale Reformen im Militär und weiterer Staatssicherheitsorgane drängen, um ihre öffentliche Rechenschaftspflicht zu stärken und die bisherige de facto-Straflosigkeit der Sicherheitskräfte zu beenden.
  • auf die Transparenz gegenüber der Zivilgesellschaft und dem Parlament im Blick auf die in Verhandlungen befindlichen oder bereits abgeschlossenen Handels-, Rohstoffs-, Investitions- und Schuldenabkommen mit Drittländern oder Regionen (China, EU, Russland etc…) drängen.

Gemeinsam mit ihren europäischen Partnern und EU-Institutionen sollte die Bundesregierung zudem

  • die Regierung Südafrikas, die SADC-Mitgliedsstaaten und die Afrikanische Union auffordern, die simbabwische Regierung auf eine schnellstmögliche Umsetzung der von der simbabwischen Regierung angenommenen Empfehlungen der Motlanthe-Kommission und der EU-Wahlbeobachtungsmission drängen. Ziel sollte sein, dass SADC und AU die eigenen Menschenrechts- und Wahlstandards geltend machen.
  • Simbabwe eine langfristige Kooperation anbieten, die beidseitige Interessen im Blick auf Handelspolitik, Rohstoffpolitik und Schuldenmanagement berücksichtigt, auf gemeinsamen Werten beruht und zu deren Erarbeitung zivilgesellschaftliche Organisationen beider Seiten miteinbezogen werden.  
  • die simbabwische Zivilgesellschaft gezielt und in verstärktem Maße bei ihrer Menschenrechts- und Versöhnungsarbeit, bei ihren Kampagnen gegen Ressourcenplünderung, Umweltverschmutzung und Veruntreuung staatlicher Gelder und bei der Bewältigung der humanitären Krisen im Land unterstützen. Dabei ist darauf zu achten, dass internationale Gelder nicht nur für europäischen Konsortien, sondern vor allem für simbabwischen Organisationen, die als echte „Agents of Change“ agieren können, zugängig sind.