Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Namibia nach Hage Geingob: Politic as usual

Am 4. Februar 2024 verstarb der seit November 2014 amtierende Präsident von Namibia Hage G. Geingob im Alter von 82 Jahren nach einer Krebserkrankung. Das KASA-Team befand sich zu dieser Zeit in Ovitoto im Kreis von traditionellen Autoritäten der Ovaherero, als die Nachricht bekannt gegeben wurde. Sie prägte seitdem all unsere Gespräche in Namibia, unabhängig davon, wer uns gegenüberstand und welche Gesprächsthemen im Vorfeld vereinbart wurden.

Der Schock über den Tod des Präsidenten

Mit 34 Jahren Unabhängigkeit ist Namibia noch eine sehr junge Nation. Hage Geingob ist nicht nur der erste Präsident Namibias, der während seiner Amtszeit verstirbt, sondern auch der erste überhaupt. Seine beiden Vorgänger Sam Nujoma (94 Jahre) und Hifikepunye Pohamba (88 Jahre) leben noch. Unter Berücksichtigung dieses Umstands waren der Schock und die Mobilisierung zu verstehen, die uns in den nächsten Tagen begegneten, obwohl sein Tod nicht überraschend kam. Nahezu alle wussten trotz der Geheimniskrämerei der Regierung Namibias um den schlechten Gesundheitszustand des Präsidenten. Als wir Sima Luipert, eine langjährige Partnerin in der Genozid-Kampagne in Mariental, zwei Tagen nach der Bekanntgabe des Todes des Präsidenten besuchten, war sie damit beschäftigt, den ersten Memorial Service der Kreisregierung Mariental zu organisieren. Sie berichtete uns darüber, dass Namibia spürbar noch keine Erfahrung mit einem derartigen Fall hatte und dass die Verantwortlichen auf allen Ebenen dabei waren, wichtige Schritte zu definieren, um den verstorbenen Präsidenten in einem würdigen Rahmen zu verabschieden.

Ein geräuschloser Machtübergang

Anders als im Fall des Gedenkens zeigte sich im politischen Bereich, dass die namibische Verfassung und die verschiedenen Institutionen robust sind, um eine reibungslose Kontinuität des Staatswesens zu gewährleisten. Auch wenn das, was in Namibia passiert ist, nur eine Umsetzung der Verfassungsbestimmungen zur Nachfolge ist, kann dies nicht als selbstverständlich angesehen werden, insbesondere auf einem Kontinent, auf dem es schon mehrere Fälle gegeben hat, in denen eine gute Verfassung in Übergangssituationen keine Garantie für politische und soziale Stabilität bedeutete. Daher ist es zu begrüßen, dass die Architekt:innen der aktuellen Verfassung Namibias, zu denen der verstorbene Präsident Hage Geingob prominent gehörte, eine gute Basis für Stabilität und Kontinuität legten. Besonders erwähnenswert sind die verschiedenen Vertreter:innen von Schlüsselinstitutionen, von den Gerichten bis zur Armee, die ihre Beiträge zur Gestaltung dieser konfliktfreien Übergangszeit im Rahmen der Ihnen von der Verfassung auferlegten Grenzen eingebracht haben. Selbst innerhalb der Regierungspartei hat der Tod von Hage Geingob keinen Anlass zu internen Machtkämpfen, wie dies in vielen anderen Ländern in ähnlichen Konstellationen zu beobachten war, gegeben. Dies ist bemerkenswert, da in Namibia für November diesen Jahres Präsidentschaftswahlen bevorstehen, bei denen es als nahezu sicher gilt, dass die Präsidentschaftskandidatin der SWAPO als Siegerin hervorgehen wird, auch wenn die Unzufriedenheit gegenüber dieser Unabhängigkeitspartei von Jahr zu Jahr immer größer wird.

Status Quo oder gar Verschlimmerung erwartet?

In unseren Gesprächen mit Vertreter:innen aller Organisationen und Gruppen, die wir trafen, war es uns daran gelegen, danach zu fragen, wie unsere Gesprächspartner:innen die Zukunft Namibias nach Hage Geingog sehen. Der allgemeine Tenor lautete, dass in großen Fragen wie Demokratie, Wirtschaftspolitik und der Bekämpfung von Korruption kaum Veränderungen zu erwarten seien, da die gleichen Akteur:innen innerhalb der SWAPO und des Staatsapparats am Werk seien. In manchen Bereichen befürchten unsere Gesprächpartner:innen sogar negative Entwicklungen. Diese Befürchtung kam zur Sprache u.a. im Zusammenhang mit zwei Fragen, die für die deutsch-namibischen Beziehungen von zentraler Bedeutung sind und deshalb auch im Mittelpunkt unseres Aufenthalts standen: das grüne Wasserstoffprojekt in Lüderitz und die Joint Declaration, das Abkommen, das den Abschluss der Verhandlungen über den deutschen Genozid in Namibia sanktionieren soll. Mit Blick auf das Wasserstoffprojekt wird befürchtet, dass der Übergangspräsident Nangola Mbumba und der seit Januar amtierende Außenminister alle Bedenken, die unter Hage Geingog zumindest noch diskutiert wurden, ignorieren könnten, um eine Beschleunigung der Umsetzung des Projektes zu erzielen, aus der sie persönlich Kapital schlagen können. Zwar hatten viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich kritisch mit dem Wasserstoffprojekt auseinandersetzen, auch mit Hage Geingobihre Probleme, u.a. als er es nicht für notwendig erachtete, auf den Brief zu antworten, den eine Gruppe namibischer NGOs und sozialer Bewegungen im November verfasste, in dem sie den Präsidenten aufforderten, unter Berücksichtigung historischer, politischer, ökonomischer, strategischer und umwelttechnischer Gründe, das Wasserstoffprojekt in Lüderitz aufzugeben. Jetzt haben sie die Befürchtung, dass all die Bedenken noch stärker ausgeblendet werden, weil die Verantwortlichen der Übergangszeit sich als tatkräftige Macher profilieren wollen.

Die gleiche Befürchtung gilt im Blick auf die Joint Declaration. Nachdem sich u.a. Hage Geingog Namibia aufgrund der Empörung der meisten Ovaherero und Nama nicht traute, das Abkommen zu unterzeichnen und somit den Weg zur Umsetzung zu öffnen, wird nun befürchtet, dass die aktuellen Verantwortlichen im Präsidialamt und im Außenministerium aus politischem Kalkül dieses Kapitel abschließen und dabei in Kauf nehmen wollen, den Zusammenhalt innerhalb Namibias aufs Spiel zu setzen.

Insgesamt war zu vernehmen, dass auf den verstorbenen Präsidenten große Hoffnungen gesetzt wurde, da er unter den Freiheitskämpfer:innen Namibias das Profil hatte, das Land wesentlich voranzubringen. Wenn Namibia selbst unter ihm in einer multiplen Dauerkrise war, was soll das Land unter denen werden, die in der parteiinternen Hierarchie meistens nur in der zweiten Reihe standen, weil sie fachlich als zu schwach eingeschätzt wurden? Diese Frage war in diesen Tagen immer wieder zu hören.

Schlussbemerkungen

Namibia befand sich in den letzten Jahren ökonomisch in einer Dauerkrise. Dass der Tod eines Präsidenten, der zum Gesicht dieser Krise wurde, die Angst auslöst, dass die Situation noch schlimmer werden könnte, anstatt als Chance für einen Neubeginn gesehen wird, hat mit einer politischen Architektur zu tun, in der die Regierungspartei zu etabliert ist, um wirklich Angst vor Machtverlust haben zu müssen. Die Opposition ist zu zersplittert und disparat, um als ernst zu nehmende Alternative wahrgenommen zu werden. In solch einer Konstellation neigt die Regierungspartei zur Bequemlichkeit. Sie braucht etwas Disruptives, um sich erschüttern zu lassen. In Namibia sieht die Regierungspartei den Tod ihres langjährigen Präsidenten trotz Dauerkrise und großer Unzufriedenheit im Lande nicht als Gelegenheit, grundsätzlich ihren politischen Ansatz zu ändern, sondern nur als Anlass, die Posten neu zu verteilen.  Zum Zug gekommen sind jene Personen, die seit Jahren in Namibia die verschiedenen Phasen der ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen mit verursacht und mit verwaltet haben. Es sind sie, mit denen die SWAPO im November in die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geht, mit der Zuversicht, diese auch zu gewinnen, wie immer. Politic as usual geht weiter, auch bei einer neuen personellen Besetzung.