Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Profit vor Menschenrechten? Kritische Perspektiven auf das Lieferkettengesetz

Auch im Rahmen vom Katholikentag in Stuttgart nahm ich an einer von der Kongregation der Franziskanerinnen von Sießen durch ihr Generalat organisierten Podiumsdiskussion teil. Thema der Diskussion war das im letzten Jahr in Deutschland verabschiedete Lieferkettengesetz und der Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz. Mir war es wichtig, eine Perspektive auf das Lieferkettengesetz zu werfen, das aus meiner Sicht in den bisherigen zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu kurz kommt.

Dem deutschen Lieferkettengesetz, wie auch allen bis jetzt verabschiedeten und zum Teil auch in der Umsetzung befindlichen Gesetzen anderer EU-Länder, wird bescheinigt, zu lückenhaft zu sein, um den Menschen entlang globaler Lieferketten den Schutz ihrer Rechte zu garantieren, sowie die Umwelt und das Klima zu schützen. Solche Lücken sind kein Zufall. Dahinter steht die Absicht, die Versorgung europäischer Unternehmen mit Rohstoffen oder Zwischenprodukten nicht durch strenge regulatorische Maßnahmen zu gefährden. Zivilgesellschaftliche Organisationen mobilisieren sich, um zu vermeiden, dass sich die gravierenden Schwächen nationaler Lieferkettengesetze nicht auf das EU-Gesetz übertragen. Der vorliegende Entwurf für das europäische Lieferkettengesetz wird als ambitionierter eingestuft. Er verpflichtet EU-Firmen dazu, ihre Zulieferer entlang der gesamten globalen Lieferkette zu überprüfen, inklusive aller direkter und indirekter Geschäftsbeziehungen. Ob dies dem Druck der Lobbyisten der Wirtschaftsverbände standhält, darf angesichts der Aushandlungsprozesse des Lieferkettengesetzes etwa in Deutschland bezweifelt werden. Hier wurde der ursprünglich ambitionierte Entwurf im Laufe der Verhandlungen im Parlament so verwässert, dass am Ende ein Gesetz herauskam, das die als klein definierten Unternehmen nicht in die Pflicht nimmt und den als groß eingestuften Unternehmen nicht wirklich weh tut. Der Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz definiert für sich als Hauptziel die weltweite Einhaltung von geltenden Menschenrechtsstandards und des Umweltschutzes, ergänzt um das folgende Unterziel: die Förderung einer faireren und nachhaltigeren globalen Wirtschaft sowie eine verantwortungsvolle Unternehmensführung.

Es stellt sich die Frage, ab wann eine fairere und nachhaltigere globale Wirtschaft als realisiert betrachtet werden kann. Reicht dafür die Konzentration auf die Extremfälle, die zur Konsequenz haben kann, dass die blutigsten Lieferketten gestoppt werden können oder gehört mehr dazu? Wäre es eine Überfrachtung, zu verlangen, dass über diese Engführung der Debatte hinaus gegangen werden muss?

Um auf diese Frage antworten zu können ist es wichtig daran zu erinnern, dass es Rohstoffe aus dem Globalen Süden sind, die viele Branchen im Globalen Norden für ihren Reichtum nutzen. Ein gutes Beispiel dafür sind Agrarprodukte wie Kaffee und Kakao, deren Wertschöpfung sich größtenteils im Norden befindet, wo auch die meisten Arbeitsplätze entstehen. Selbst die Elfenbeinküste und Ghana, die zwei größten Produzenten von Kakao-Bohnen, importieren ihre Schokoladen größtenteils aus Europa, während unter den 100 größten Schokoladenexporteure der Welt ist kein einziger in Afrika ansässig ist. Was für beide Länder gilt kann zu Südafrika und seine Nachbarn im Blick auf Platin, zur DR Kongo und Sambia im Blick auf Kobalt, Kupfer und Coltan und zu vielen anderen rohstoffreichen Ländern Afrikas gesagt werden. Angesichts dieser Problematik ist es wichtig, den Blick zu erweitern und zu fragen, ob es nicht berechtigt ist, zu verlangen, dass ein dem Ziel der Fairness verpflichtetes Lieferkettengesetz, gleichzeitig regelt, dass der größte Teil der Wertschöpfung, und damit der Produkte und Arbeitsplätze durch Produktion von Endprodukten, in den Ländern verbleiben muss, deren Rohstoffe wir veredeln. Angenommen dies wäre eine Überfrachtung eines Lieferkettengesetzes, wäre es dann nicht die Priorität von Zivilgesellschaft aus dem Globalen Norden, zivilgesellschaftliche Strukturen aus dem Globalen Süden zu unterstützen, die für das Recht kämpfen, dass sich ihre Länder nicht in ungerechte internationale Lieferketten integrieren lassen? Dies ist umso dringender als die Menschenrechts-, Umwelt- und Klimakonformität, die durch Lieferkettengesetze aus der EU angestrebt wird, einige Gefahren mit sich bringen, die im Rahmen dieses Artikels nur skizziert werden können. Erstens geht es um die Legitimierung der Ausbeutung von Ressourcen, wenn der Eindruck entsteht, dass alles in Ordnung sei, wenn keine Kinderarbeit mehr im Spiel ist und die mineralischen Ressourcen von einigen wenigen Gebieten als blutig eingestuft werden, solange sie in den Händen vor Kleinschürfer:innen sind. Zweitens geht es um die Gefahr der einseitigen Betroffenheit ohne Dialog mit Betroffenen. Drittens ist auch die Gefahr der Schaffung von sauberen Inseln zu erwähnen, die dann nur für die Ressourcen gestaltet werden, die in die EU exportiert werden. Was ist mit der Produktion für andere Weltregionen? Ist es im Interesse der EU-Zivilgesellschaft unbewusst zur Konsolidierung von Doppelstandards beizutragen?

All diese komplexen Fragen verpflichten uns dazu, mitzubedenken, dass Menschenrechte, Umwelt und Klima erst dann effektiv geschützt werden, wenn diese Werte als solche in rohstoffreichen Ländern anerkannt werden. Dies bedeutet nicht nur, dass die Gesetze entsprechend gestaltet werden, sondern auch die Institutionen so gestärkt werden, dass effektive Kontrollen gewährleistet werden können. Ohne diese letzte Voraussetzung nutzen die besten nationalen Gesetze nichts und die internationalen Gesetze werden zur Sicherung eines privilegierten Zugangs zu Rohstoffen für Industrieländer instrumentalisiert. Aus diesem Grund wehren sich Aktivist:innen aus dem Globalen Süden gegen eine Nichterfüllungsklausel in Handelsabkommen, da sie darin eine Gefahr des Missbrauchs der asymmetrischen Kräfteverhältnisse sehen. Daraus ergibt sich die Konsequenz, die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen im Globalen Süden zu verstärken, gegen die eigenen Eliten, für einen Paradigmenwechsel einzutreten, bei dem die Befriedung von Binnennachfrage durch regionale, lokale Wertschöpfungskreisläufe statt internationaler Lieferketten im Vordergrund stehen sollten. Daraus erhoffen sich die Menschen im Globalen Süden die erforderliche Industrialisierung ihrer Länder und Regionen und die damit zusammenhängenden dringend benötigten Arbeitsplätze für ihre sehr junge Bevölkerung. Für diese Bewegungen steht etwa die Ernährungssouveränität im Vordergrund und sie sehen sich durch die immer wieder kehrenden Hungerkrisen aufgrund gestörter globaler Nahrungsmittellieferketten bestätigt. Der Anbau von Kakao, Tee, Blumen und Kaffee für den Weltmarkt ist wäre nicht deren Priorität, auch wenn es den NGOs aus dem Globalen Norden gelingen würde, mit Zertifikaten und Lieferkettengesetzen die fairsten und unblutigsten Lieferwege für die benannten Produkte zu erkämpfen. Ist deren Ansatz nicht besser im Einklang mit den Anforderungen eines konsequent gedachten Klimaschutzes, der uns zu einer Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe zwingt und den Welthandel zu einer komplementären Ausnahme machen soll? Wäre die Verschiebung der Priorität in der Landwirtschaft mit einer Priorisierung der Ernährung als Basis für ein gutes Leben nicht das Gebot der Stunde?

Kurzum: Mir geht es in dieser Debatte darum, zu vermitteln, dass Fairness sich nicht darauf beschränken darf, durch Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen oder Lieferkettengesetze die Länder des Globalen Südens vor den übelsten Ausbeutungsmachenschaften der europäischen Konzerne zu schützen. Abgesehen davon, dass diese Instrumente oft nur vage gute Absichten vermitteln, gilt es zu betonen, dass Fairness nur durch eine Verschiebung der Wertschöpfung erfolgen kann, die eine gerechte Verteilung der Gewinne ermöglichen würde.