Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Bedingungsloses Grundeinkommen im Globalen Süden

 „Die soziale Ungleichheit hat sich in den letzten Jahren weltweit verschärft. Mit der Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands und der zunehmenden sozialen Ausgrenzung wachsen auch die Armutsrisiken. Entwicklungspolitisches Handeln, das auf die Überwindung der Armut und ihrer Ursachen zielt, muss sich neu auf die veränderten sozialen Herausforderungen einstellen. Rund 80  Prozent der Weltbevölkerung leben heute ohne Absicherung gegen elementare Lebensrisiken wie Krankheit, Altersarmut oder Arbeitslosigkeit, ohne Möglichkeiten der selbstbestimmten Sicherung der Lebensgrundlagen und ohne ausreichenden Zugang zu sozialen Grunddiensten wie Gesundheitsversorgung und Bildung.“[1]

Diese Aussage, die die Arbeitsgruppe Soziale Sicherheit des Verbands deutschen Nichtregierungsorganisationen VENRO an den Anfang ihres Positionspapiers stellt, macht deutlich, wie eklatant wir gegenüber den Forderungen der Menschenrechtscharta versagt haben: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“ [2]

Daraus ergeben sich Fragen, ob und wenn ja wie wir in den vergangen Jahrzehnten diesem Anspruch nachgekommen sind und ob unsere bisherigen Methoden richtig und ausreichend sind. Besonders seit die Debatten um Postkolonialismus auf der einen und Postwachstum auf der anderen Seite die Themen setzen, rückt ein universelles und bedingungsloses Grundeinkommen nicht nur wieder stärker in den Vordergrund sondern verschiebt sich auch dessen Begründung. Denn woher stammt unser hier im Westen generiertes und uns zur Verfügung stehendes Vermögen und mit welcher Berechtigung maßen wir uns an, darüber zu entscheiden, wem wir welchen Anteil davon etwa über Entwicklungshilfe abgeben oder wen wir dann über unsere Sozialsysteme im eigenen Land davon profitieren lassen. Wie sehen unsere Ausbeutungsstrukturen auch heute noch aus, mit dem wir unseren Wohlstand generieren, dadurch den Klimawandel hervorrufen und zusehen, wie der Teil der Menschheit, der am wenigsten dazu beigetragen hat in nie gekannten Umweltkatastrophen oder bei der Flucht im Mittelmehr untergeht? Wer ist überhaupt das WIR in dieser Geschichte?

Just give money to the poor[3] - das Beispiel Namibia

In Namibia leben 2.1 Millionen Menschen, davon werden 40 Prozent als arm eingestuft, 18 Prozent sogar als sehr arm. Ebenfalls etwa 40 Prozent sind offiziell arbeitslos. Das Land hat mit einem GINI-Index von 59.1 (2015) eine der höchsten Einkommensungleichheit der Welt. Im Jahr 2002 wurde in einer Studie, die von der namibischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, ein bedingungsloses Grundeinkommen (BIG) als angemessenes Konzept zur Überwindung der absoluten Armut empfohlen. Da die Regierung dieser Empfehlung nicht folgte, entstand 2004 eine breit gefächerte Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen unter Führung der Lutherischen Kirche und ihrem Bischof Zephania Kameeta und rief ein Pilotprojekt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ins Leben. Ausgesucht wurde das Dorf Otjivero-Omitara rund 70 km östlich von Windhuk als Durchführungsort, in dem zwischen Januar 2008 und Dezember 2009 monatlich  N$100 (ca. 8€) als Grundeinkommen ausgezahlt wurden. Dabei wurden die 930 Bewohner**innen, die unter 60 Jahre waren, als Empfänger**innen registriert. Ausgeschlossen wurden lediglich diejenigen, die Anspruch auf die staatliche Altersrente von damals N$370 hatten und damit bereits über ein Grundeinkommen verfügten. Dieses Cash-Transfer-Modell mit Targeting wurde nach Namibias Unabhängigkeit im Jahr 1990 eingeführt. Für viele Familien ist die Altersrente nach wie vor das einzige monetäre Einkommen.

Durch das BIG hatte sich die Situation gravierend verändert. Musste eine achtköpfige Familie bisher mit N$370 aus der Rente der Großmutter auskommen, so erhöhte sich nun das monatliche Gesamteinkommen um N$700, verdreifachte sich also.

Die Finanzierung des Pilotprojekts erfolgte über Spenden. Langfristig jedoch, bei einer landesweiten Umsetzung, muss es über Steuern und Abgaben finanziert werden.[4] Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet und sollte als erstes Pilotprojekt in der Geschichte der Grundeinkommensdebatte am Ende zeigen, inwiefern ein bedingungsloses Grundeinkommen die Startchancen der armen Bevölkerung, insbesondere der Kinder, verbessern und sie aus der Armutsfalle befreien kann. Auch sollten gängige Vorurteile, wie Geldtransfers machen abhängig oder faul, überprüft werden. Die nationale und internationale Öffentlichkeit verfolgte dieses Projekt mit großer Aufmerksamkeit.[5]

Bereits im ersten Jahr waren die Ergebnisse mehr als beeindruckend:

Die Unterernährung bei Kindern konnte von 42 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden. Die Bewohner*innen besuchten die lokale Klinik deutlich früher und rechtzeitig, da sie Mittel für die kleine Selbstbeteiligung hatten. Damit konnte deutlich mehr Menschen geholfen werden. Die Anzahl der Kinder, die die Schule aus finanziellen Gründen nicht besuchen, sank um 42 Prozent. Kinder kamen nun satt zur Schule, was ihre Lernfähigkeit deutlich erhöhte und sich positiv auf die Abschlüsse auswirkte. Mehr Kinder hatten nun sowohl das Können als auch die finanziellen Mittel, um weiterführende Schulen in der Stadt zu besuchen. Die Polizei stellte einen drastischen Rückgang der Armutskriminalität fest, da viele sich andere Energiemittel als Holz leisten konnten und damit nicht mehr auf dem Privatgeländer der weißen umliegenden Farmen dieses illegal sammeln mussten.  

In Bezug auf die wirtschaftlichen Aktivitäten war ebenfalls Erstaunliches festzustellen. Das Einkommen aus selbständiger Beschäftigung nahm um 300 Prozent zu. Damit wurde das Grundeinkommen in weiten Bereichen für kleine lokale Investitionen genutzt, die unter anderem deshalb florierten, weil im Dorf Geld vorhanden war. Neben der Versorgung mit Lebensmitteln wurde vor allem in den Hausbau investiert, da im Dorf ein großer Mangel an wetterfesten Unterkünften herrschte. Vor allem Frauen legten Sparbücher für ihre Kinder an, andere zahlten zunächst vermehrt Schulden zurück, obwohl ein Großteil der Begünstigten größere Ausgaben auch für den Haushalt tätigten. 27 Prozent fand ein festes Anstellungsverhältnis in der Stadt, da sie Mittel und Möglichkeiten hatten, überhaupt auf Jobsuche zu gehen. Auch im Dorf selbst entstanden neue Stellen wie etwa auf der Post oder in der Verwaltung. Dadurch zirkulierte das Geld aus dem BIG zu großen Teilen im Dorf.

So what?

Die Vorteile eines bedingungslosen, universellen Grundeinkommens in einem Land, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums liegt, sind offensichtlich. Schon die von der Regierung eingesetzte NAMTEX-Kommission begründete ihre positive Bewertung des BIG hauptsächlich mit der einfachen und kostengünstigen Umsetzung für Namibia. Da bereits eine staatliche Altersrente an alle über 60 ausgezahlt werde, könne dies ohne großen Verwaltungsaufwand auf alle Einwohner*innen Namibias ausgeweitet werden. Gleichzeitig verhindert die universelle Auszahlung jede Art von Korruption. Wird davon ausgegangen, dass das BIG vorrangig über die Besteuerung finanziert wird, so erhalten niedrige Einkommen bis zu einem Break-even Mittel als Grundeinkommen, das über höhere Einkommen und deren Steuersatz gegenfinanziert wird. Dies würde im Gegensatz zu Sozialhilfe, die über ein Auswahlverfahren mit Targeting gezahlt werden, den Ausbruch aus der Armutsfalle ermöglichen - etwa durch die Verhinderung eines Rückfalls in Armut in Krisensituationen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Übergangsphasen oder bei Klimakatastrophen. Eine derartige Besteuerung hätte langfristig eine gesellschaftliche Umverteilung zur Folge und würde sich auch positiv auf die Einkommens- und Vermögensverteilung auswirken. Nimmt man die derzeitige Debatte um den Genozid von 1904 und die damit verbundenen Entschädigungsforderungen von Seiten der Nachfahren der Opfer, so wird deutlich, wie zentral gerade für Namibia der Aspekt der Umverteilung in diesem Kontext ist. Langfristig gefährdet die enorme gesellschaftliche Ungleichheit den sozialen Frieden im Land.

Die Gleichbehandlung aller ungeachtet ihres Einkommens, ihrer gesellschaftlichen Position oder Marginalität stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dabei profitieren Frauen in besonderer Weise, da sie unabhängig von ihrer sozialen Rolle eigenständig über Mittel verfügen können. Dies ermöglicht ihnen, sich auch aus gewaltvollen Beziehungen zu lösen oder sich mit dem Einkommen jenseits der Prostitution selbständig zu machen. Auch dafür gab es Beispiele in Otjivero. Gleichzeitig bringt es sie aber nicht in eine herausgehobene – wie etwa durch Bevorzugung in der Entwicklungszusammenarbeit - und dadurch wieder gefährdende Position gegenüber Männern in der Gesellschaft, da diese ebenfalls dieselbe Zuwendung erhalten.

Konditionalitäten wirken bevormundend, verhindern die Stärkung der Menschen zum selbstbestimmten, selbstverantwortlichen Leben und sind nicht nachhaltig. Ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen hingegen „ist ein Akt der Ermächtigung, der den Menschen mehr Freiheit und Eigenverantwortung gibt. Es ist keine beliebige Geste oder ein spontaner oder sporadischer Akt der Nächstenliebe. Es schafft eine Rechtsgrundlage. “[6]

Mit dem BIG wird gesellschaftliches Vertrauen erhöht, da den Armen nicht mehr Misstrauen in Bezug auf haushalterische Kompetenz als den Reichen entgegengebracht wird. In Bezug auf die Rückgewinnung ihrer Würde ist es für Menschen aus armen Verhältnissen besonders zentral, einen Rechtsanspruch auf ein Grundeinkommen ohne implizite Stigmatisierung durch Behördengänge im Gegensatz zu einer karitativen Zuwendung zu erhalten.

Sehr eindrücklich hat das Pilotprojekt in Otjivero gezeigt, wie nachhaltig sich die Ernährungssituation verbessert hat, da bei den meisten Empfänger*innen zunächst ein Großteil in Lebensmittel, Gemüseanbau oder Kleintierhaltung investiert wurde. Dies trug einerseits zur Bekämpfung von HIV/AIDS bei, denn oft hängt die Wirkung von Medikamenten von der Ernährungssituation ab. Andererseits erhöht es die Chancen der Kinder auf eine gute Schuldbildung und so auch auf eine nachhaltige Zukunftssicherung für die Familien. Nicht nur fördert das BIG die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aufgrund der Rechtssicherheit sich selbständig machen oder sich mehr Zeit für die Jobsuche lassen können, es gibt ihnen auch die Möglichkeit, nicht zu jeder Bedingung jeden Job annehmen zu müssen: Es stärkt also ihre Verhandlungsmacht in ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen und wirkt innovationsfördernd.

Da die meisten Armen nach wie vor auf dem Land leben, profitieren durch das BIG besonders die unterentwickelten Regionen und lokale Märkte, wird die lokale Produktion unterstützt, werden Arbeitsplätze geschaffen und so die Attraktivität des lokalen Raums erhöht. Letzteres wiederum verhindert langfristig die Abwanderung in die Städte und garantiert das Überleben des ländlichen Raums.

 „Now I can stand in the middle of people and talk. “

Drei Monate nach Einführung des BIG in Otjivero erzählte mir eine junge Frau, wie sie sich nun wieder am Dorfgeschehen beteiligen könne, ohne dass ihre Nachbarn befürchten müssten, sie würde nur wieder um etwas Zucker oder Mehl betteln. Da alle nichts hätten und das Ablehnen dieser Bitte ein gesellschaftliches Problem darstellt, wäre niemand mehr gerne auf der Straße gestanden, um einfach einen Schwatz zu halten. Jetzt könne sie für sich selbst sorgen mit ihrem eigenen Geld, das ihr durch das BIG zustünde. Sie hatte endlich ihre Würde zurück erhalten. Und eine weitere, ältere Frau verkörperte dieses Zitat, als sie bei der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des ersten Projektberichts vor internationalem Publikum das Mikrofon nahm und in ihrer eigenen Sprache die enormen Erfolge für sie und ihr Dorf beschrieb. Sie hatte wohl zum ersten Mal eine Stimme und den Raum dafür, diese zu Gehör zu bringen. Dafür allein lohnt sich die Einführung eines BIG.

 


[1] VENRO: Soziale Sicherheit – Fundament für eine menschenwürdige Gesellschaft
Positionspapier 3/2014, Berlin, 2014, S. 1

[2] https://www.menschenrechtserklaerung.de/soziale-sicherheit-und-menschenwuerde-3661/

[3] Hanlon, Joseph: Just give Money to the Poor. Kumarian Press, Boulder, 2010

[4] Siehe ausführlich dazu Haarmann et.al.: Der entscheidende Unterschied Das Grundeinkommen in Namibia Basic Income Grant Pilot Projekt Forschungsbericht, Windhuk, 2009, S. 93ff.

[5] Siehe dazu die Dokumentation der KASA http://woek.de/web/cms/front_content.php?idart=1972&lang=1

[6] Basic Income Grant Coalition: Basic Income Grant Pilot Project, Assessment Report. 
September 2008, S.14