Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Besuch bei der Familie Mazeingo

In Namibia haben wir eine besondere Einladung erhalten. Der Paramount Chief Prof. Mutjinde Katjiua und Nandiuasora Mazeingo, der Vertreter der Ovaherero Traditional Association und der Ovaherero Genozide Foundation haben uns für ein Wochenende aufs Land eingeladen.

Die Farm von Nandiuasora liegt in Ovitoto, nördlich von Windhoek und ist nur mit einem Allradfahrzeug zu erreichen – zumindest, wenn man die Abkürzung nimmt. Zum Glück übernimmt Nandi, der sich mit dieser Straße und Gegend sehr gut auskennt, den Fahrdienst.

Ein Großteil der Familie Mazeingo lebt in Ovitoto, dessen ältestes Mitglied sein Onkel Hiskia Matukazura Mazeingo ist, bei dem Nandi aufwuchs. Der Onkel ist das Familienoberhaupt, in seinem Gehöft befindet sich das heilige Feuer, das für wichtige Familienfeiern angezündet wird. Er wacht nach wie vor über die Geschicke seiner Familie. Zu ihm müssen alle Besucher:innen, um ihm ihre Aufwartung zu machen. So auch der Paramount Chief, sein Stab und wir im Gefolge. Das große Anwesen besteht aus mehreren Hütten, alle aus Wellblech. In einer wohnt der über 100 Jahre alte Onkel, der die Kolonialzeit noch als Kind miterlebt hat. Wir nehmen unsere Klappstühle aus dem Kofferraum – ein Ovaherero geht nie ohne aus dem Haus – und setzen uns unter einen Baum in den Schatten.

Dann kommt der Onkel mit seiner Gehhilfe aus dem Haus und geht auf die gegenüberliegende Seite. Die meisten unserer Delegation folgen ihm, vorneweg der Paramount Chief. Bevor wir uns zusammensetzten, wird den Ahnen ein symbolisches Opfer  dargebracht: Wasser, eine Kostbarkeit in dieser trockenen Region.  Anschließend setzen sich alle wieder unter den Baum und begrüßen sich gegenseitig. Nandiuasora ließ mich vorab wissen, dass der Onkel mich ansprechen wird: „Da sitzt ja meine Schwester! Sonst bin ich immer der hellste hier in der Gegend!“, bemerkt er verschmitzt. „Wie leben denn die alten Menschen bei dir zu Hause? Haben die auch so viel Familie um sich herum?“

Seine Anspielung verdeutlicht, wie präsent die Auswirkungen der Kolonialzeit in einem solchen Kontext noch sind. Die Mutter des Onkels wurde über Jahre hinweg von einem deutschen Soldaten der Schutztruppe vergewaltigt. Sie war verheiratet, ihr Ehemann konnte sich nicht dagegen wehren, dass seine Frau missbraucht wurde. Aus dieser Beziehung gingen zwei Kinder hervor: Hiskia und seine Schwester, die bereits verstorben ist. Die Eheleute hatten auch gemeinsame Kinder. Die Hautfarbe der beiden Geschwister war eine tägliche Erinnerung an die Vergewaltigung, die Demütigung und Machtlosigkeit. Bis heute kennt er seinen leiblichen Vater nicht, es ist nur ein vager Name überliefert.

Mir kommt die Geschichte des Ethnologen Alexander Hoffmanns aus dem Film „Der vermessene Mensch“ in den Sinn. Dachte der Soldat vielleicht auch, dass Hiskias Mutter in ihn verliebt sei, so wie es Alexander von Kezia annahm, obwohl diese ihn eindeutig ablehnte? Hat der Soldat überlebt, hat er je wieder an seine Kinder gedacht? Was hat er seiner Familie in Deutschland erzählt?

Die Vergangenheit, die deutschen Verbrechen werden hier in an diesem Ort so real, so erdrückend, unsere Schuld so sichtbar, dass es mir immer wieder die Sprache verschlägt. Und gleichzeitig wird die Dringlichkeit unserer Arbeit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen für die juristische Anerkennung des Genozids durch die deutsche Regierung vor Augen geführt:

Völkermord verjährt nicht – Neuverhandlungen jetzt! Reparationen anstatt Entwicklungshilfe! Echte Entschuldigung!