Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Black Lives Matter in Südafrika

Auch in Südafrika gab und gibt es die Black Lives Matter Bewegung, die selbst unter Lockdown-Bedingungen öffentlich - aber eben anders - protestiert. Am 3. Juni 2020 wurde vor dem Parlament in Kapstadt eine Mahnwache mit schriftlichen Botschaften abgehalten. Auf diesen Botschaften war nicht nur der Name Georg Floyd zu lesen, sondern auch einige Namen der elf Opfer, die zu Beginn des Lockdown durch Polizeigewalt starben. Darunter Collins Khosa. Und sie machten auf die illegalen Vertreibungen von Menschen aus informellen Siedlungen aufmerksam, die laut Gerichtsbeschluss gar nicht hätten vertrieben werden dürfen.

Doch ist die Bezeichnung für Südafrika überhaupt relevant? Suggeriert sie nicht vielmehr einen Zustand, der durch die Übernahme der Regierung durch den ANC in die falsche Richtung weist? Wie war das wohl für die Angehörigen der Menschen, die während der ersten Tage des Lockdown von südafrikanischen Sicherheitskräften ermordet wurden, als Südafrikas Regierungspartei ANC und ihr Präsident Cyril Ramaphosa sich solidarisch mit der „Black Lives Matter“ Bewegung zeigten und sogar einen "Black Friday" in Gedenken an Floyd ausriefen, die eigenen Opfer von Polizeigewalt aber geflissentlich verschwiegen?

Wessen wird gedacht? An wen wird erinnert?

#saytheirname etwa will den namenlosen Opfern von staatlicher Gewalt eine Plattform bieten und versucht auch für Südafrika etwa in der Erinnerungskultur zum Massaker von Marikana die Opfer öffentlich beim Namen zu nennen. Denn auch Südafrika hat seinen „Georg Floyd“:

Collins Khosa[1]

Khosa starb am 10. April 2020, nachdem ihn Mitglieder der South African National Defence Force SANDF schwer misshandelt hatten, weil er zuhause mit Alkohol erwischt worden war. Zu Beginn des Lockdown war der Handel mit Alkohol verboten, nicht jedoch das Trinken in privaten Räumen. Ramaphosa schickte neben der Polizei auch verstärkt Soldaten in die Townships, um die Lockdown-Regeln durchzusetzen. Diese gingen mit einer ungeahnten Härte gegen Menschen vor, die einerseits in ihren Behausungen kaum Platz für all die zusätzlichen Menschen hatten, die plötzlich den ganzen Tag zu Hause sein mussten und andererseits durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens  sämtliche Einkommensquellen vor allem aus dem informellen Sektor verloren hatten. Das Nichteinhalten von Regeln, die unter den Bedingungen eines südafrikanischen Townships gar nicht einzuhalten waren, machte tausende Menschen zu Kriminellen und Opfern von staatlicher Gewalt. Khosa war nur einer unter vielen. Die Frage, warum die Soldaten sein Haus durchsuchten und so erst auf den Alkohol aufmerksam werden konnten, warum sie ihn brutal zusammenschlugen, anstatt ihn etwa in Gewahrsam zu nehmen und warum sie danach keine Erste Hilfe leisteten und dafür alle Zeugen einschüchterten, bleibt auch nach der Suspendierung der beteiligten Soldaten ungeklärt. Richters Hans Fabricius, der den Fall im Mai im Obersten Gericht von Gauteng behandelte, ordnete umgehend die Erarbeitung und Veröffentlichung eines Verhaltenskodex für Polizei und Militär an.

Bulelani Qholani[2]

Das Video, in dem Qholani nackt aus seinem Haus in einem informellen Teil Khayelitshas geschleppt wurde, ging viral. Der Bürgermeister von Kapstadt, Dan Plato, verstärkte noch die Erniedrigung, indem er behauptete, Qholani hätte sich extra ausgezogen, als das Abbruchkommando ihn aus dem Haus werfen wollte. Doch die Abbruchkommandos hätten laut Lockdown-Regelung gar nicht erst in die informelle Siedlung kommen dürfen, denn das Disaster Management Gesetz verbietet Räumungen grundsätzlich während des Lockdown. Plato begründete die Aktion damit, dass die Siedlung überhaupt erst während des Lockdown entstanden sei und dringend benötigte Infrastrukturarbeiten in Khayelitsha behindern würde[3].

Seit März haben Städte wie Kapstadt und eThekwini gewaltsam Bewohner*innen aus informellen Siedlungen vertrieben und obdachlos zurückgelassen. In Malmesbury, das etwa 50 km von Kapstadt entfernt liegt, schoss die Polizei am 2. Juli Tränengas in die Siedlung. „We can’t breathe“, berichten die Betroffenen, und geben damit den letzten Worten Georg Floyds eine neue, südafrikanische Dimension.

Fransina Petersen

Petersen, eine Mutter von drei Kindern, wurde auf einer Farm in Klapmuts, in den Cape Winelands geboren, auf der sie bis vor kurzem arbeitete. Bereits im Februar wurde sie nach einem Räumungsbefehl von der Farm geworfen. Sie ist bei ihrer Schwiegermutter untergekommen: "Ich schlafe in meinem Auto, damit meine Kinder in dem Zimmer schlafen können.“ Organisationen wie Women on Farms Project (WFP) bestätigen, dass die Vertreibungen von Farmen auch nach dem Lockdown weitergehen, dass die Farmer vom Gericht Genehmigungen dafür erhalten würden, Menschen aus ihren Häusern zu jagen, in denen sie zum Teil geboren wurden. Viele von ihnen haben danach keine Bleibe, leben auf der Straße oder enden in völlig überfüllten informellen Siedlungen. Zuständig ist nach einer per Gericht genehmigten Vertreibung von der Farm die Gemeinde. Sie muss nun für die ehemaligen Farmarbeiter*innen Unterkünfte bereitstellen, die sie aber nicht hat. Die wenigsten Siedlungen am Rande der Kleinstädte im Western Cape, die diese Vertriebenen aufnehmen müssen, haben Vorkehrungen getroffen, damit die Hygiene- oder Abstandsregelungen des Lockdown eingehalten werden können.

Die Vertreibungen von Farmen waren schon vor Corona ein menschenrechtliches Problem, auf das zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder vehement hingewiesen haben, die Politik im Umgang damit jedoch weitgehend versagt hat. Unter Corona hat sich die Situation für die Menschen noch dramatisch verschlechtert, macht sie ohne ihr Verschulden zu Kriminellen.

Woher kommt die Gewalt?

Georg Floyd ist das jüngste Symbol rassistischer Polizeigewalt in den USA. Die amerikanischen Polizisten, die unverhältnismäßig Gewalt anwenden, sind meist weiß. Die Opfer dieser Gewalt zumeist Afroamerikaner*innen. In Südafrika hingegen sind sie alle schwarz. Wieso also gehen südafrikanische Sicherheitskräfte so brutal gegen ihre Landsleute vor? Und warum nur in den Townships?

Während der ersten Wochen des Lockdown etwa, als in Südafrika alle angewiesen wurden, in ihren Häusern zu bleiben, gab es immer wieder Berichte von meist weißen Jogger*innen an den Stränden von Kapstadt, die – wenn überhaupt - von Polizist*innen höflich darauf hingewiesen wurden, dass dies unter den Corona-Bestimmungen nicht erlaubt sei. Gleichzeitig wurden über 200.000 Bewohner*innen von Townships festgenommen und angeklagt, weil sie eine Zigarette geraucht oder ebenfalls spazieren gegangen waren. Denn die Lockdown-Regeln beinhalteten zunächst auch ein Alkohol- und Tabakverbot. Sicherheitskräfte patrouillierten nicht nur in den Townships, sondern durchsuchten ohne jegliche Befugnis auch Privatgrundstücke wie etwa im Falle von Collins Khosa. Hier spielte weder Höflichkeit noch Rechtstaatlichkeit eine Rolle.

Die hier sichtbar gewordene Gewalt entspringt einem Verständnis von Polizeiarbeit, bei dem es darum geht, Gruppen ökonomisch und sozial marginalisierter Menschen im Griff zu behalten. Die Geschichte des Kolonialismus und der Apartheid ist die Geschichte der Enteignung der Schwarzen von ihrem Land und der Vertreibung aus ihren Häusern. Es ist gleichzeitig die Geschichte des Kapitalismus, dessen zeitgenössische südafrikanische Variante von ihren Vorgängern ein effektives Regime der Ausgrenzung übernommen hat und damit bestimmt, welches Leben wichtig ist und welche nicht. Es hat also im Falle von Südafrika auch damit zu tun, wo und wie Menschen leben und nicht nur welche Hautfarbe sie haben. Strafverfolgungsbehörden werden in diesem Zusammenhang nicht als Antwort auf Kriminalität gesehen, sondern als Antwort auf die Bedrohung, die kollektives Handeln für die Herrschaft der Eliten und die ungleichen sozialen Bedingungen, die ihr zugrunde liegen, gedeutet. So gesehen erhält der Slogan Black Lives Matter auch in Südafrika seine Bedeutung, zeigt er doch, dass etwa arme und marginalisierte schwarze Südafrikaner*innen mehr mit ihren amerikanischen Leidensgenoss*innen gemeinsam haben als mit der Mittelschicht oder Elite ihres Landes mit derselben Hautfarbe.[4] Manche Analyst*innen sprechen davon, dass sich Südafrika aus einer Rassen- in eine Klassengesellschaft verwandelt hätte. Doch dies ist zu kurz gegriffen, denn besonders in der letzten Dekade hat sich die rassistische Grundhaltung vieler weißer Südafrikaner*innen wieder öffentlich gezeigt. Ganz besonders auf den Farmen, wo Farmarbeiter*innen nach wie vor zum Teil unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und arbeiten. Dieser Rassismus, die Gewalterfahrung aus Kolonialismus und Apartheid haben die Wahrnehmung dafür geprägt, was ein Leben wert ist und was nicht. Dies haben auch die Opfer selbst verinnerlicht und werden damit zu Täter*innen.

Xenophobie oder Afrophobie?

Es gibt aber auch in Südafrika das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit. Seit Jahren sind Attacken gegenüber sowohl dokumentierten als auch nicht-dokumentierten Migrant*innen, sogenannte xenophobische Übergriffe, an der Tagesordnung. Sie werden immer wieder zu Sündenböcken für die anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme gemacht. Doch eigentlich handelt es sich nicht um Fremdenfeindlichkeit, sondern um Afrophobie, da Migrant*innen aus europäischen Ländern davon nicht betroffen sind. Südafrika als regionale Hegemonialmacht und als zumindest vor der Corona-Pandemie einer der größten Wirtschaftsnationen auf dem afrikanischen Kontinent, zieht Menschen an: Händler*innen aus westafrikanischen Staaten, Geflüchtete aus Simbabwe oder der Demokratischen Republik Kongo. Sie alle leben meist in den oft überfüllten und infrastrukturell schlecht ausgestatteten Townships oder in besetzten Häusern in den großen Metropolen. Dort, wo die meisten Südafrikaner*innen ebenfalls leben. Expats, Entwicklungshelfer*innen oder Geschäftsleute aus Europa hingegen wohnen in „gated Communities“, eingezäunt und gut bewacht.

„Institutionalisierte Fremdenfeindlichkeit scheint in erster Linie und fast ausschließlich in Townships und informellen Siedlungen in unserem Land ausgetragen zu werden, und daher sind die Opfer alle überwiegend schwarzafrikanische Männer und Frauen, seien sie nun Südafrikaner*innen oder aus einem anderen Land unseres Kontinents kommend“, so Sharon Ekambaram, von den Lawyers for Human Rights (LHR). „Wir sind empört über die Gewalt der Sicherheitskräfte gegenüber schwarzafrikanischen Südafrikaner*innen oder Ausländer*innen. Schwarzafrikanische Leben zählen!“[5]

[1] https://www.dailymaverick.co.za/article/2020-05-18-collins-khosa-judgment-a-win-for-all-of-south-africa-against-brutality-by-security-forces/

[2] https://www.timeslive.co.za/news/south-africa/2020-07-06-from-a-humiliating-eviction-to-the-pursuit-of-justice-a-timeline-of-khayelitshas-bulelani-qholani/

[3] https://www.dailymaverick.co.za/article/2020-07-06-khayelitsha-land-invasions-disrupt-pipeline-plan-plato-tells-cogta/

[4] https://africasacountry.com/2020/06/the-class-character-of-police-violence

[5] https://towardfreedom.org/story/ensuring-all-black-lives-matter-in-south-africa/