Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Faire Handelsbedingungen mit Entwicklungsländern: Die Rolle der FairTraide-Bewegung

Angesichts der laufenden Diskussionen über die Handelspolitik der EU und deren negative Auswirkungen auf Entwicklungsländer im Allgemeinen und auf afrikanische Länder im Besonderen, stellt sich die Frage, wie sich die FairTrade-Bewegung in Europa aufzustellen hat, um einen Beitrag zu einer gerechten Handelspolitik der EU leisten zu können. Der Faire Handel wurde nicht ins Leben gerufen, um sich als Nische für ein gewisses Bürgertum zu etablieren, sondern hat einen Anspruch, der heute noch so formuliert wird: „FairTrade verbindet Konsumentinnen und Konsumenten, Unternehmen und Produzentenorganisationen und verändert Handel(n) durch bessere Preise für Kleinbauernfamilien, sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Beschäftigte auf Plantagen in Entwicklungs- und Schwellenländern “[1]. Ohne Zweifel hat die FairTrade-Bewegung viel erreicht und vor allem ist sie, anders als viele andere Bewegungen, die den Wandel der Zeit nicht überlebt haben oder dadurch geschwächt wurden, konstant geblieben.

Der Faire Handel konzentriert sich auf den Import von überwiegend landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkten aus Entwicklungsländern in Industrieländer. Diese Zielsetzung war im Entstehungskontext des Fairen Handels in den 1970er Jahren berechtigt, denn die Importpolitik der Industrieländer war ein zentrales Problem des Welthandels. Auch heute nach mehr als 40 Jahren ist das Problem immer noch aktuell. Der Marktzugang von Entwicklungsländern in die Industrieländer ist alles andere als zufriedenstellend. So räumte etwa die EU den ehemaligen Kolonien ihrer Mitgliedstaaten in Afrika, in der Karibik und im Pazifischen Raum im Rahmen der Lomé-Abkommen von 1975, 1979, 1984 und 1989 und später des Cotonou-Abkommens von 2000 die Möglichkeit ein, für die meisten Agrarprodukte und für alle Industrieprodukte zoll- und quotenfrei in den EU-Raum zu exportieren.

Aber diese einseitigen Handelspräferenzen, die bereits dadurch eingeschränkt wurden, dass die EU bzw. die EG sich großzügig im industriellen Bereich zeigte, in dem die AKP-Länder nicht konkurrenzfähig sind, während der Agrarbereich, in dem diese Länder einiges aufzuweisen haben, mit protektionistischen Ausnahmen zugunsten der europäischen ProduzentInnen versehen wurden, scheiterten mehrfach an nichttarifären Handelsbarrieren zunichte gemacht. Diese wurden im Laufe der Jahre immer zahlreicher und die Nachweise, dass bestimmte Normen und Standards erfüllt werden, wurden so komplex, aufwändig und zum Teil teuer, dass sie sich als das beste Mittel erwiesen haben, Produkte aus diesen Ländern und aus Entwicklungsländern im Allgemeinen von EU-Märkten auszusperren. Angesichts dieser Tatsache ist es für die FairTrade-Bewegung richtig, weiterhin praktisch zu zeigen, was die so genannten Entwicklungsländer zu bieten haben. Aber noch wichtiger ist es, die politische Dimension der Problematik der nichttarifären Handelshemmnisse aufzugreifen und zum Gegenstand der politischen Bildungs- und Lobbyarbeit zu machen.

Gleichwohl ist es für die FairTrade-Bewegung zu berücksichtigen, dass eine zweite Komponente hinzugekommen ist, welche entwicklungspolitisch schwerwiegender ist. Es geht um die zunehmende Marktöffnung der Entwicklungsländer für Produkte aus Industrienationen. Lange blieben Entwicklungsländer verschont, denn sie waren kein Bestandsteil des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT). Entsprechend hatten sie keine Verpflichtung zur Öffnung ihrer Märkte für Konzerne aus Industrienationen. Die verschiedenen Wellen der Globalisierungsprozesse haben dies grundlegend verändert: Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank im Zuge der Strukturanpassungsprogramme ab den 1980er Jahren, Regeln der Welthandelsorganisation ab Mitte der 1990er Jahre und zuletzt die Verlagerung der Liberalisierungsoffensive der Industrienationen von der multilateralen auf die bilaterale Ebene haben dazu beigetragen, dass viele Entwicklungsländer Schutzinstrumente und dadurch Handlungsfähigkeit angesichts externer Schocks verlieren. So beinhalten beispielsweise die Interimsabkommen der EU mit Ghana und Cote d’Ivoire eine so genannte Stillstandsklausel. Sie verbietet beiden Ländern die Zölle zu erhöhen, solang diese Abkommen gelten. Dadurch wird beiden Ländern jeglicher politischer Handlungsspielraum weggenommen, ihre im Rahmen der Auflagen der Strukturanpassungsprogramme und der WTO-Regeln vulnerabel geworden Bäuerinnen und Bauern zu schützen. Es ist mittlerweile bekannt, dass ProduzentInnen von Tomaten, Hähnchen, Schweinefleisch, Milch etc.in diesen Ländern unter den Verdrängungseffekten leiden, weil sie der Konkurrenz europäischer Produkte nicht standhalten können. Dies ist entwicklungspolitisch schwerwiegender, weil durch die Verdrängung lokaler MarktteilnehmerInnen Lebensgrundlagen zerstört werden, welche eine der Fluchtursachen aus ländlichen Gebieten ist, denn sie verursacht irreparable Perspektivlosigkeit.

Deswegen ist es für die FairTrade-Bewegung wichtig, den Fokus der Arbeit auf die aggressive Marktöffnungspolitik der Industrienationen zu legen. Dies soll aus der zentralen Fragestellung heraus geschehen, was der Hebel ist, an dem es zu drehen gilt, um den bestmöglichen Beitrag zur Besserung der Situation in Entwicklungsländern zu leisten. Hier zeigt sich, dass selbst eine Verzehnfachung der meist kommerzialisierten Produkte wie Kaffee und Tee nicht in der Lage sein kann, die Zerstörung durch die Marktöffnungspolitik zu kompensieren. Dies ist umso ernster zu nehmen, da sich im fairen Handel, bis auf ein paar Ausnahmen, die gleichen Muster reproduzieren wie im Welthandel: Die meisten Exporte von den Entwicklungs- in die Industrienationen bleiben Rohstoffe, deren Verarbeitung in den letzteren stattfindet. Somit bleiben die Wertschöpfung und somit auch die Hauptgewinne in Industrienationen.

Die FairTrade-Bewegung kann durch verstärkte Lobby- und Mobilisierungsarbeit dazu beitragen, dass von den Industrienationen im Allgemeinen und von der EU im Besonderen nichts hervorgeht, was in Entwicklungsländern Schäden anrichtet. Die gegenwärtige Gestaltung der Handelsbeziehungen zwischen der EU und den Ländern Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes spricht eine andere Sprache. Deswegen kann sich die FairTrade-Bewegung die Forderung zu eigen machen, von der EU einen rechtlichen Rahmen zu verlangen, der die Implementierung der Liberalisierungsverpflichtungen für die afrikanische Seite der bereits ratifizierten Interimsabkommen und des SADC-Regionalgüterabkommens sofort aussetzt. Über den Güterhandel hinaus droht den Ländern eine Liberalisierung auch in den Bereichen der Dienstleistungen, des öffentlichen Beschaffungswesens, der Wettbewerbsregeln etc. Dass die EU keine Verhandlungen über die sog. Dienstleistungskapitel, wie in den bereits ratifizierten Abkommen vorgesehen, beginnt, um die regionale Zersplitterung besonders in Afrika nicht auf weitere Wirtschaftssektoren zu erweitern, wäre auch ein Ziel, für das es sich für die FairTrade-Bewegung lohnen würde zu kämpfen. Hier wäre es hilfreich, Synergien mit allen Organisationen zu bilden, die seit Jahren eine deutliche Kritik daran artikulieren, dass die EU und die Bundesregierung Exportweltmeister werden oder bleiben wollen, auch in Entwicklungsländern.

Ein anderer Aspekt der Außenwirtschaftspolitik der EU, welche für die FairTrade-Bewegung von Bedeutung sein sollte, betrifft die Aktivitäten europäischer Konzerne in Entwicklungsländern. Diese Konzerne kontrollieren in der Regel wichtige Sektoren der Wirtschaft der Länder, in denen sie operieren. Sie verfügen dort oft über eine Macht, die es den nationalen Regierungen vor Ort schwierig macht, deren Aktivitäten zu kontrollieren. Auch von hier aus geht keine ernst zu nehmende demokratische Kontrolle hervor. Solche Konzerne, die weltweit operieren,  haben freiwillige Selbstverpflichtungen aufgestellt, die von ihnen selbst kontrolliert werden und die den Eindruck erwecken lassen, dass ihnen Menschen- und Umweltrechte, Vermeidung von Korruption in ihren Geschäftstätigkeiten sowie das Wohlergehen der Menschen in den Ländern, in denen sie operieren, etwas bedeuten würden. Die Erfahrungen mit den wiederholten Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nichts bringen und notwendigerweise in staatliche Ordnungspolitik überführt werden müssen. In Deutschland startet im Herbst 2019 eine bundesweite Kampagne für verbindliche, gesetzliche Regelungen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen, die im Ausland tätig sind. Diese mit allen Kräften zu unterstützen, wäre ein Schritt in die richtige Richtung, denn transnationale Konzerne sind für den Welthandel sehr prägend. Sie zu ignorieren und das eigene „Ding“ durchzuziehen, würde den fairen Handel zu einer Nische reduzieren, die letztendlich nur einer Gewissenberuhigung dient. Die Überwindung der Dysfonktionalitäten im Welthandel verlangt von hier aus, die Bereitschaft aufzubringen, in Konflikt mit den AkteurInnen zu treten, die für eine exportorientierte Handelspolitik und deren Folgen für die Armutsbekämpfung verantwortlich sind, aber auch mit jenen AkteurInnen, die weltweilt Produktion und Kommerzialisierung kontrollieren. Nur so flankiert kann der faire Handel glaubwürdig die Ziele verteidigen, für die er sich traditionell eingesetzt hat.

 


[1] https://www.fairtrade-deutschland.de/was-ist-fairtrade.html?gclid=EAIaIQobChMIu_j0p47l3gIVks13Ch3sTgIyEAAYAiAAEgLGqPD_BwE