Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Im Schatten der Herrschenden. Der SADC People's Summit 2019

Mit Tansania fiel der SADC-Gipfel 2019 auf ein Gastgeberland, das sich ökonomisch im Aufschwung befindet. Es weist eine der höchsten Wachstumsraten des Kontinents auf, hat große Infrastrukturprojekte in Gang gesetzt und Regulierungs- und Antikorruptionsmaßnahmen umgesetzt, die über die Grenzen des Landes hinweg von sich reden machen. Politisch jedoch sendet die Regierung von Tansania unter der Federführung vom 2015 ins Amt des Präsidenten gewählten John Magufuli viele Zeichen aus, die deutlich zeigen, dass sie von partizipativer Demokratie und Menschenrechten nur ein selektives Verständnis hat. Mit dieser Ambivalenz wird die SADC-Region, die durch sämtliche politische Turbulenzen geht, ein Jahr lang leben müssen.

Der offizielle Gipfel und seine Beschlüsse

Mit dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs vom 17. bis 19. August 2019 hat Tansania die Präsidentschaft der SADC für ein Jahr übernommen. Im August 2020  wird dann Mosambik die Präsidentschaft übernehmen. Bis dahin kommt es auf Tansania an, die Beschlüsse des 39. SADC-Gipfels umzusetzen. Dieser stand unter dem Thema “A Conducive Environment of Inclusive and Sustainable Industrial Development, Increased Intra-Regional Trade and Job Creation“. In ihrer Abschlusserklärung konstatieren die Staats- und Regierungschefs der Region, dass angebliche Fortschritte in der Umsetzung ihrer Industrialisierungsstrategie erzielt worden seien. Darüber hinaus wurde ein Protokoll adoptiert, das die Entwicklung einer diversifizierten, innovativen und global wettbewerbsfähigen Industrialisierung festschreibt. Dieses ambitionierte Projekt ist zentraler Bestandsteil des ökonomischen Programms, zu dessen Umsetzung Tansania bis zum nächsten Gipfel einen wesentlichen Beitrag leisten soll.  Diese Aufgabe ist umso schwieriger, als dass die Staats- und Regierungschefs selbst mit Besorgnis zur Kenntnis genommen haben, dass der Binnen-SADC-Handel nur langsam wächst und dass die Region nach wie vor Rohstoffe exportiert.  Dadurch geht jedoch der potentielle Nutzen der Ressourcenverarbeitung verloren. Eine überzeugendere Antwort auf diese Herausforderung als ein Lippenbekenntnis zur Beschleunigung des Industrialisierungsplans der SADC wussten die Staats- und Regierungschefs nicht zu geben. 

Über diese ökonomische Fokussierung hinaus lässt sich in der Abschlusserklärung viel Eigenlob herauslesen, etwa über die angeblich positive Rolle der Region in der Stabilisierung der politischen Lage in Lesotho, in der Demokratischen Republik Kongo und auf Madagaskar. Diese Selbstbeweihräucherung  kontrastiert mit den politischen Verhältnissen in diesen Ländern, die nach wie vor alles andere als stabil,  zukunftsweisend und vor allem förderlich für die Entwicklung der Region sind. Die SADC-Länder wie auch die Afrikanische Union (AU) haben in diesen wie auch in weiteren Krisenländern nichts anderes getan als die bestehenden Kräfteverhältnisse zu stabilisieren. Somit wurden die Probleme nur verschleiert und deren mögliche Eskalation verschoben. Mit solchen Ländern, die überwiegend mit sich selbst beschäftigt sind –  dazu zählen in der SADC-Region auch Simbabwe, Eswatini und mit Abstrichen Mosambik – ist es schwierig, die ambitionierte Agenda der Regionalintegration voranzubringen. Der SADC-Gipfel von Dar es Salaam hat, wie seine Vorgänger, die Harmonie der Eliten privilegiert und auf diese entscheidende Frage keine überzeugende Antwort formuliert. Es sind jene Versprechen, die die Staats- und Regierungschefs jedes Jahr formulieren, ohne ihnen anschließend Taten folgen zu lassen oder die Wirklichkeit in den einzelnen Ländern wirklich zu berücksichtigen, die jedes Jahr zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Bewegungen der Region mobilisieren. Dies war in Dar es Salaam auch der Fall.

SADC People's Summit und NGO Forum in Dar es Salaam

Gegen die leere Rhetorik der Regierenden der Region versuchen zivilgesellschaftliche Organisationen in zwei Foren anzugehen, die sich in den vergangenen zehn Jahren etabliert haben: Der SADC People´s Summit und das SADC NGO Forum. In den letzten fünf Jahren gelang es fast immer, beide Foren terminlich so zu organisieren, dass sie versetzt aufeinander aufbauen konnten. In Dar es Salaam fanden beide vom 13. bis 17. August statt und machten sich ungewollt Konkurrenz, da die Themen zum Teil deckungsgleich waren. Der SADC People´s Summit bringt vor allem soziale Bewegungen unter der Koordination des Southern Africa People´s Solidarity Network (SAPSN) zusammen, dessen Sekretariat rotierend durch die verschiedenen SADC-Länder gestellt wird. Seit einem Jahr ist das Sekretariat bei der Zimbabwe Coalition on Debt and Development (ZIMCODD) in Harare angesiedelt. ZIMCODD hat den SADC People´s Summit in Dar es Salaam in Kooperation mit dem Tanzania Council of NGOs organisiert. Der diesjährige SADC People´s Summit stand unter dem Thema “Rebuilding Peoples Movements Within Southern Africa’s Climate, Political and Socio-Economic Emergencies: Towards radical democratic alternatives and a just transition.” Am SADC NGO Forum nehmen ausschließlich NGOs teil. Um nicht den Rahmen dieses Beitrags zu sprengen,  konnte sich der Autor des vorliegenden Artikels nur auf den SADC People´s Summit konzentrieren. Aus diesem Grund wird im Folgenden nur über diesen berichtet werden.

In fünf Unterthemen der oben benannten Themen wurden während des SADC People´s Summit Demokratie, Regierungsführung und Menschenrechte, Jugendermächtigung und Partizipation, ökonomische Gerechtigkeit, Klimawandel, Umwelt und Verwaltung natürlicher Ressourcen und endlich auch die Ermächtigung von Frauen und damit allgemein das Thema Gendergerechtigkeit diskutiert Im Nachgang wird auf drei Unterthemen eingegangen, die in den Diskussionen in den Plenarsitzungen einen zentralen Platz eingenommen haben. Zunächst handelt es sich um das Thema „Shrinking Democratic Space“, die unter „Demokratie, Regierungsführung und Menschenrechte“ behandelt wurde. Das Thema hat in Dar es Salaam viel Raum eingenommen, weil die Einschränkung der Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Akteur*innen im Südlichen Afrika  immer mehr an Bedeutung und trauriger Aktualität gewinnt. Nicht aus Ländern wie Angola, DR Kongo, Simbabwe und ESwatini, deren Regierungen dafür bekannt sind bei verschiedenen Anlässen brutal mit zivilgesellschaftlichen Organisationen umzugehen, sondern auch aus Ländern wie Sambia und Tansania, in denen bis vor kurzem zivilgesellschaftliche Organisationen viele Freiheiten genossen, wurden viele Beispiele genannt, warum für zivilgesellschaftliche Organisationen, die nichts anderes machen als für die Einhaltung der Menschenrechte, für gute Regierungsführung, Transparenz und Rechenschaftspflicht, für Umweltschutz etc… eintreten, die Luft zum Atmen immer dünner wird. Viele Länder sind dabei oder haben versucht, Gesetze zu verabschieden, die ermöglichen, die Aktivitäten von NGOs stärker zu kontrollieren. In den Fokus dabei geraten die Finanzierungsmöglichkeiten vom Ausland aus, die den NGOs ermöglichen, gegenüber den nationalen Regierungen unabhängig zu agieren. Ohne auszuschließen, dass NGOs rein theoretisch von ausländischen Mächten ausgenutzt werden können, um bestimmte Ideologien oder andere Interessen triumphieren zu lassen, erweisen sich oft diese angestrebten Kontrollversuche von Regierungen als verzweifelte Strategien, sich der Rechenschaftspflicht, die diese NGOs verlangen, zu entziehen. In Dar es Salaam wurden solche Versuche verurteilt und viele soziale Bewegungen und NGOs haben sich verpflichtet, den Kampf für ihre Freiheit und Unabhängigkeit in allen SADC-Ländern weiter zu führen, ohne dafür die langfristigen Interessen ihrer Länder zu verraten.

Zu erwähnen ist an zweiter Stelle das Thema „Klimawandel,  Umwelt und Verwaltung natürlicher Ressourcen“. Angesichts der Extremwetterereignisse, die das Südliche Afrika mehr als jede andere afrikanische Region heimsuchen, welche jetzt schon den Tod vieler Menschen und eine Zerstörung der Lebensgrundlagen zu Folge haben, forderten die in Dar es Salaam versammelten Aktivistinnen und Aktivisten die Staats- und Regierungschefs der SADC auf, sich global für eine konsequente Klimagerechtigkeit einzusetzen und für die Anpassungsmaßnahmen in der Region mehr zu tun. Darüber hinaus forderten die Delegierten beim SADC People´s Summit 2019 eine Umsetzung vernünftiger Politikansätze und eine Reform der Förderprogramme für Klima, Umweltgerechtigkeit und natürliche Ressourcen zur Lösung von Problemen, mit denen sich die lokalen Gemeinschaften konfrontiert sehen.

Unter dem Unterthema „Economic Justice“ ist der Workshop zu erwähnen, der von Brot für die Welt in Kooperation mit dem Economic Justice Network (Kapstadt/Südafrika) und der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika organisiert wurde. Er beschäftigte sich mit dem Thema „Scramble for Africa? African economic Perspectives and the influence of European Privatinvestments“. In diesem Forum waren sich die Teilnehmenden darüber einig, dass die deutschen, europäischen und G20-Initiativen zu Afrika (Compact mit Afrika, Europäischer Investitionsplan, Marshallplan, Merkel-Plan, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, Post-Cotonou-Prozess) nicht das einhalten können, was sie versprechen: Schaffung von Arbeitsplätzen, Finanzierung afrikanischer kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), Entwicklung afrikanischer Länder und Unterstützung junger Afrikanerinnen und Afrikaner beim Verbleib auf dem Kontinent. Eher das Gegenteil ist zu befürchten. Die Absicht dieser Initiativen, kleinen und mittleren Unternehmen durch private Finanzierung und Kommerzialisierung der Entwicklungshilfe Mittel zur Verfügung zu stellen, wird die Notlage der KMU in Afrika nur noch verschlimmern. Die beste Finanzierung für KMU sind Entwicklungsbankinstrumente, die Finanzierungen zu günstigen Konditionen und nicht zu kommerziellen Zwecken bereitstellen können. 

Außerdem werden diese Initiativen die Dominanz europäischer und transnationaler Unternehmen (TNCs) der G20 in Afrika unter anderem in den Bereichen Finanzen und Infrastruktur festigen. Denn der Plan zur Integration von KMU in globale Wertschöpfungsketten wird den TNCs die Möglichkeit geben, ihre finanzielle Stärke, ihr Technologiemonopol und ihr Marktmonopol zur Dominanz der Kleinen zu nutzen.

Das Ergebnis wird sein, dass sich die Arbeitslosigkeit und somit die Armutssituation in Afrika verschlechtert, was den Massenexodus junger Menschen nach Europa verschärfen und die Behauptung der EU zunichte machen wird, dass diese Initiativen auf die Kontrolle und Lösung des Einwanderungsproblems abzielen, mit dem die beiden Kontinente konfrontiert sind. 

Was afrikanische Länder für ihre Entwicklung brauchen, sind Strategien und Initiativen, die die Produktionskapazitäten afrikanischer Akteur*innen wie Landwirt*innen und KMUs erhöhen, regionale und kontinentale Infrastrukturen fördern, sowie die Marktintegration mit Sensibilität unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes der einzelnen Länder voranbringen. Diese Strategien und Initiativen müssen von afrikanischen Regierungen und ihren Bürger*innen konzipiert und umgesetzt werden. Externe Initiativen sind nur zuzulassen, wenn sie die afrikanischen Visionen ergänzen können und nicht untergraben. Daraufhin empfahlen die Teilnehmenden an diesem Workshop den Staats- und Regierungschefs der SADC und Afrikas im Allgemeinen, sich von den oben erwähnten Initiativen zu distanzieren und sie stattdessen an ihrer Kompatibilität mit ihren eigenen Strategien, Prioritäten und Entwicklungsplänen zu messen. Sie forderten die sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Afrika auf, sich gegen solche Initiativen mit tiefgreifenden Implikationen für afrikanische Ökonomien zu mobilisieren und zivilgesellschaftliche Organisationen aus der EU und aus Deutschland, ihrem Kampf gegen jede Initiative solidarisch zur Seite zu stehen, die Afrikas kontinentale Integration und Entwicklung beeinträchtigen würde. Ob sich diese Akteur*innen bei den herrschenden Eliten der SADC und des Kontinents Gehör verschaffen, die nur von der Mobilisierung ausländischer Direktinvestitionen träumen, bleibt eine offene Frage. Ob sie selbst auch genug Mobilisierung von unten erzielen können, um solche Initiativen zu stoppen oder zumindest zugunsten der SADC und Afrikas zu beeinflussen, ist eine andere Ungewissheit.