Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Simbabwe und Corona-Krise: Was bringt das Konjunkturpacket?

Wie in den meisten afrikanischen Ländern wurden auch in Simbabwe bereits nach den fünf ersten bestätigten Corona-Fällen Ende März drastische Lockdown-Maßnahmen getroffen, um eine exponentielle Ausbreitung des Corona-Virus zu vermeiden. Zivilgesellschaftliche Organisationen prangern die Brutalität, mit der die Regierung Simbabwes versuchte, diesen Lockdown in einem dafür sowohl sozial als auch ökonomisch wenig darauf vorbereiteten Umfeld durchzusetzen. Polizei und Militär wurden eingesetzt und scheinbar mit unbegrenzten Befugnissen ausgestattet. Menschenrechtsverletzungen waren und sind in verschiedensten Städten des Landes zu beklagen.

Mehr als zwei Monate nach dem Lockdown hat sich die Situation sozial und ökonomisch weiter verschlechtert. Die Regierung nutzt die Corona-Krise, um gegen die größte Oppositionspartei MDC massiv vorzugehen und sie zu zerschlagen. Um die ohnehin schon schwer angeschlagene Ökonomie des Landes wieder anzukurbeln hat die Regierung am 1. Mai ein Konjunkturpacket in Höhe von 18 Milliarden Z$ (360 Millionen US$) angekündigt. Aus zivilgesellschaftlichen Kreisen wurde vielfache Kritik an diesem Programm geäußert. Dieser Artikel will darauf eingehen und den Kontext erläutern, in dem so ein Konjunkturprogramm notwendig wurde.

Besorgniserregende Statistiken

Ein Blick auf Statistiken in Simbabwe heute ist alles andere als erfreulich: die Arbeitslosenquote wird auf 90 Prozent geschätzt, es gibt 7,7 Millionen Menschen, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, 71 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, die Inflationsrate liegt im Moment bei 900 Prozent. Ursache all dieser Entwicklungen ist nicht die Corona-Pandemie, sondern Faktoren, die sich in Simbabwe im Laufe der Jahre verselbstständigt haben. Die Corona-Pandemie macht die tiefe Verletzlichkeit der simbabwischen Gesellschaft wie unter einem Brennglas vergrößert sichtbar. Die Gründe für die katastrophale sozio-ökonomische Situation sind vielfältig. Sie rangieren vom nicht- oder falsch aufgearbeiteten Erbe des Kolonialismus über eine notorisch schlechte Regierungsführung der Regierungspartei bis hin zu Naturkatastrophen wie die langen Dürreperioden oder den Zyklon Idai. Laut der düsteren Einschätzung der Weltbank sei die Wirtschaft Simbabwes 2019 um 7,5 Prozent geschrumpft[1]. Genauso besorgniserregend stuft der IWF die Entwicklung der Inflationsrate ein, welche an die schmerzvolle Ära der Hyperinflation von 2007/8 erinnert. Damals erreichte die Inflation mit offiziell 231 Millionen Prozent einen noch nie dagewesenen Höchststand. Der IWF-Bericht 2019 zeigt, dass Simbabwes Wirtschaft im Jahr 2019 in Afrika südlich der Sahara am schlechtesten abschnitten hat und warnt, dass „es kurz- und mittelfristig wenig Aussicht auf eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen und finanziellen Herausforderungen Simbabwes gibt, wenn die Herausforderungen in den Bereichen Regierungsführung, Korruption, tief verwurzelte Eigeninteressen und Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit (nicht angegangen werden)“[2]. Für 2019 stellten die Exekutivdirektoren des IWF mit Besorgnis fest, „dass Simbabwe vor einer wirtschaftlichen und humanitären Krise betroffen ist, die durch politische Fehlentscheidungen und klimabedingte Schocks verschärft wird. Diese Krise würde schwierige politische Entscheidungen von den Behörden und die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft erfordern“. Diese Direktoren erwarten von den simbabwischen Behörden eine konzertierte Anstrengung, um die wirtschaftliche und soziale Stabilität durch eine bessere Koordination der Steuer-, Währungs- und Handelspolitik zu gewährleisten. Dies soll mit Bemühungen zur Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und zu ernsthafter Regierungsführung verbunden werden. Solche Empfehlungen standen bereits vor der Corona-Krise fest. Sie scheinen noch dringender geworden zu sein, denn von deren Umsetzung hängt die Wiederbelebung der formellen Ökonomie ab. Der informelle Sektor, der Simbabwe in den letzten Jahren getragen hat, ist aufgrund des Lockdown in eine schwere Krise geraten.

Informeller Sektor im Stillstand

Mit der schnellen Schrumpfung der formellen Ökonomie ab 2000 hat in Simbabwe in den letzten 20 Jahren die Bedeutung der informellen Ökonomie zugenommen. Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds von 2018 ist Simbabwes informelle Wirtschaft die größte in Afrika und nach Bolivien die zweitgrößte der Welt. Der Sektor macht mindestens 60 Prozent der gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten Simbabwes aus. Ausgerechnet diesem Sektor werden durch den Lockdown große Schäden zugefügt. Das Lockdown-Dekret ordnete an, dass alle Bürger*innen zu Hause bleiben müssen. Ausnahmen betrafen das Aufsuchen von Gesundheitsdiensten, den Kauf von Lebensmitteln und die Arbeit in systemrelevanten Dienstleistungssektoren. Öffentliche Märkte, auf denen die Händler*innen des informellen Sektors aktiv sind, wurden geschlossen. Nur die Märkte, die Lebensmittel verkaufen, dürfen weiterhin öffnen. Somit ist die Krise auch in dem Sektor angekommen, der selbst als Reaktion auf die Krise des formellen Sektors entstanden ist und als Stütze für Millionen Menschen und deren Angehörige gilt. Die Konsequenz für die simbabwische Gesamtökonomie ist eine erwartete Schrumpfung zwischen 15 Prozent und 20 Prozent für das Jahr 2020. Die Regierung versucht mit einem Konjunkturprogramm gegenzusteuern.

Das simbabwische Konjunkturprogramm und ihre reale Bedeutung

Die Regierung Simbabwes hat ein Konjunkturpacket in Höhe von 18 Milliarden Z$ angekündigt, das angesichts der negativen Auswirkungen von COVID-19 die Produktion in allen Wirtschaftssektoren erhöhen soll. Diese Summe entspricht 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Simbabwes. Sie soll Kleinindustrien unterstützen, Gesundheitseinrichtungen verbessern, Armut bekämpfen und sozial benachteiligten Menschen direkt zugutekommen. Ein Großteil der Gelder (6%) soll in die Landwirtschaft investiert werden. Davon verspricht sich die Regierung nicht nur die Wiederherstellung der Ernährungssicherheit, sondern auch Impulse für weitere Sektoren der Ökonomie. Auch der Bergbausektor, die verarbeitende Industrie, die Infrastrukturen, der Tourismussektor, der Kunstsektor und das Gesundheitswesen sollen durch Finanzspritzen wieder belebt werden.

Die Kritik[3] u.a. von ZIMCODD (Zimbabwe Coalition on Debt and Development) und LEDRIZ (Labour Economic Development Research Institute Zimbabwe) an diesem neuen Konjunkturprogramm ließ nicht lange auf sich warten. Das Konjunkturpaket sei ein reines Regierungsprogramm, das Stakeholders wie Unternehmen aufoktroyiert werde. Nicht mal die direkten Nutznießer des Programms wie etwa die Unternehmer*innen wurden miteinbezogen. Dieser fehlende Dialog könnte die Akzeptanz und somit auch den Erfolg des Programms beeinträchtigen, meinen die Kritiker*innen. Ein anderer Kritikpunkt lautet, dass dem Konjunkturpacket keine Forschungsergebnisse zugrunde liegen. In Ermangelung solcher Forschungsergebnisse wird vermutet, dass die Allokation der Mittel willkürlich entschieden wurde. Des Weiteren wird die Intransparenz über die Herkunft der Mittel bemängelt. Vermutet wird, dass die Regierung schon wieder Schulden bei einer ausländischen Bank aufgenommen hat. Dabei ist Simbabwe bereits ein hochverschuldetes Land. Darüber hinaus wird angeprangert, dass die Regierung bei der Ankündigung dieses Programmes die lokale Währung als Rechnungseinheit verwendet hat. Es ist zu befürchten, dass die angekündigte Summe bis zu ihrer Mobilisierung nicht mehr viel wert sein wird. Es besteht auch eine akute Gefahr, dass die Mittel in Ermangelung klarer Kontrollsysteme zweckentfremdet werden, wenn man bedenkt, dass das Programm angekündigt wurde, als das Parlament aufgrund des Lockdown seine Aufsichtsfunktion nicht wahrnehmen konnte, wobei das Parlament diese Funktion in der Vergangenheit nur selten zufriedenstellend wahrnehmen konnte. Noch wichtiger ist für die Kritiker*innen die Frage, was ein Konjunkturprogramm bringe, wenn der informelle Sektor, der mindestens 60 Prozent der Wirtschaftsleistung Simbabwes ausmacht, sich nach wie vor im Lockdown gefindet und somit von den Finanzspritzen nicht profitieren kann? Auf jeden Fall taucht der informelle Sektor auf der Liste der Allokation der Mittel nicht explizit auf. All diese offenen Fragen machen es schwierig, daran zu glauben, dass das simbabwische Konjunkturprogramm die schwer angeschlagene Ökonomie wirklich beleben wird.

Fazit

Ob das Konjunkturprogramm robust genug ist, um Simbabwe von der Rezession wieder auf die Wachstumspur zu bringen, bleibt eine offene Frage. Wie der Direktor von Labour Economic Development Research Institute Zimbabwe (LEDRIZ) Godfrey Kanyenze in einem von ZIMCODD organisierten TV-Programm[4] sagte, leide Simbabwe deswegen so stark unter der durch COVID-19 ausgelösten Krise, weil das Land es versäumt habe, sich in guten Zeiten für mögliche Krisen aufzurüsten.

 Auch in Simbabwe entstand zu Beginn der Corona-Krise eine kleine Hoffnung, dass die aktuelle Situation von der Regierung als Chance genutzt werden könnte, um Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und mehr Resilienzen zu bilden. Zivilgesellschaftliche Organisationen nehmen immer mehr zur Kenntnis, dass auch die aktuelle Krise ein eigenes Leben führen könnte, weil es dort anscheinend unter den Entscheidungsträger*innen viele gibt, die von Krisen profitieren. Dabei mangelt es nicht an Initiativen, die auch in dieser Krise Innovationen an den Tag gefördert haben, um etwa die Krankenhäuser mit selbsthergestellten Beatmungsgeräten und Desinfektionsmitteln auszustatten oder kreative Wege gefunden wurden, um das Überleben der Familien zu sichern. Diese Protagonist*innen zu konsultieren und mit einzubeziehen wäre der beste Weg gewesen, um die in der Krise frei gewordenen kreativen Ideen für einen Neubeginn in Simbabwe nutzbar zu machen. Daran hat die herrschende politische Klasse scheinbar kein Interesse. Diesen Initiativen bleibt, zumindest im Augenblick, nichts anders übrig als zu versuchen, sich in den Nischen der kleinen dezentralen Räumen zu behaupten.

[1] www.cnbc.com/2020/03/03/zimbabwe-in-economic-and-humanitarian-crisis-as-imf-sounds-alarm.html

[2] file:///C:/Users/ASUS/Downloads/1ZWEEA2020001.pdf

[3] Für eine detaillierte Kritik dieses Konjunkturprogramm: https://spiked.co.zw/the-zw-18-billion-stimulus-package-beyond-the-figure/

[4] https://www.facebook.com/ZTNnews/videos/246592806404149/