Wie stehen eigentlich die Menschen in Südafrika zu der Frage, ob Rohstoffe in ihrem Land abgebaut werden sollen oder nicht?
Diese Frage wird immer wieder thematisiert, wenn wir über das Massaker von Marikana von 2012 und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter*innen im Platinbergbau berichten. Die Antwort darauf ist keine einfache, es gibt wie immer mehrere Parteien mit je ganz eigenen Interessen. Einerseits verschafft der Sektor nach wie vor Jobs: Insgesamt arbeiteten 2017 laut Angaben des Ministeriums 46.4667 Menschen in den Minen. In der Platinmine von Lonmin arbeiten zum Zeitpunkt des Streiks 26.869 Vollzeitbeschäftigte. Bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 26,6 Prozent ist es für eine Familie grundsätzlich erfreulich, einen breadwinner zu haben, also jemand der/die mit einem geregelten Einkommen die Lebensgrundlage sichert. Doch unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis? Das hat der Streik in der Platinindustrie 2012 überdeutlich werden lassen. Und das Massaker von Marikana hat gezeigt, dass der Sektor nach wie vor in kolonialen, ausbeuterischen Strukturen verharrt und keine Transformation erfahren hat. Das bedeutet, dass die Arbeiter*innen und ihre Familien keine adäquaten Wohnungen haben, obwohl dies Teil des Social and Labour Plans ist, den die Minengesellschaften mit der südafrikanischen Regierung vereinbaren. Die wenigsten halten sich daran und die Regierung kontrolliert und ahndet nicht. Die Minenarbeiter*innen leben ohne Strom, fließend Wasser, ohne sanitäre Einrichtungen und schaffen gleichzeitig die wertvollsten Edelmetalle auf den Weltmarkt. Sie werden früh krank und sterben jung, in den meisten Fällen ohne Absicherung für ihre Familien. Familien von Wanderarbeiter*innen aus Swasiland etwa haben große Schwierigkeiten, die Renten ihrer Angehörigen ausbezahlt zu bekommen, da die Unternehmen und der südafrikanische Staat wenig Energie aufbringt, die Rentner*innen ausfindig zu machen. Doch wer heute einen Job in der Mine sucht, hat es immer schwerer. Allein Lonmin hat angekündigt, in den nächsten Jahren 12.600 Stellen zu streichen. Alternativen gibt es für die wenigsten, meist schlecht ausgebildeten Arbeiter*innen nicht. Schon gar nicht in ihren Herkunftsregionen, sei es Swasiland oder Eastern Cape.
Die Menschen, die von den Jobs in den Minen abhängen, sehen und erleben unmittelbar die negativen Seiten des Bergbaus am eigenen Leib: ungenießbares Wasser, verschmutzte Luft, Bodenerosionen, unterirdische Schwelbrände…
Um diese direkten Folgen des Bergbaus wissen auch die Gemeinschaften, die sich nach dem Massaker von Marikana zu den Mining Affected Communities United in Action MACUA zusammengeschlossen haben und für die Rechte und Selbstbestimmung der Betroffenen kämpfen. So auch das Amadiba Crisis Committee ACC, das es kürzlich zumindest in Südafrika, zu einiger Berühmtheit gelangt ist. Die fünf Dörfer im Xolobeni District mit rund 1000 Bewohner*innen liegen an der malerischen und touristisch attraktiven Wildcost und gehören heute zum Eastern Cape. Seit über einem Jahrzehnt setzen sie sich für den Erhalt ihrer Umwelt und Lebensgrundlage ein – und immer wieder bezahlen sie es mit ihrem Leben. Zwölf Aktivist*innen wurden bereits ermordet, die derzeitige Vorsitzende des Komitees Nonhle Mbuthuma erhält Todesdrohungen. Wer dahinter steckt ist nach wie vor unklar, vor allem, weil die Polizei bisher keine Verdächtigen hat – oder haben will. Allerdings ist die Gemeinschaft der fünf Dörfer gespalten, da einige, die nicht von Enteignungen betroffen wären, durchaus für das Projekt sind, da sie ihre Hoffnung auf die versprochenen 300 Jobs setzen. Eine Hoffnung, die in anderen Projekten allzu oft unerfüllt blieb.
Im Xolobeni Mine Sands Project will Transworld Energy and Mineral Resources (TEM), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des australischen Konzerns Mineral Commodities (MRC), Titan fördern. Die geplante Mine verfügt über Reserven in Höhe von 348,7 Millionen Tonnen Erz mit einem Gehalt von 5% Titan und wäre damit die größte Titanmine Südafrikas. Die Pachtfläche ist beträchtlich - 22 km lang und 1,5 km breit und umfasst 2 867 Hektar. Die geplanten Investitionen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar würden den Bau einer Mineraltrennungsanlage und einer Schmelze und soll bis zu 300 Arbeitsplätze schaffen.
Die Einwände gegen den Bergbau aus der Gemeinde Xolobeni stieß auf taube Ohren, weshalb das ACC am 23. April 2018 Unterlassungsklage beim Obersten Gericht in Pretoria gegen das Department of Mineral Resources (DMR) einreichte. Dabei geht es darum, dass von Bergbau betroffene traditionelle Gemeinschaften das Recht haben sollen, Nein zu sagen, also Bergbauaktivitäten auf ihrem Land abzulehnen. Begründet wird dies mit ihrer besonderen Beziehung zu ihrem Land, das weder einfach durch ein anderes ausgetauscht, noch in Wert gesetzt werden kann.
Als im Oktober dann das Verfassungsgericht in einem anderen Fall für die klagende Community entschied, stiegen die Hoffnungen auf einen Erfolg. Richter Xola Petse urteilte mit Verweis auf Frantz Fanon, dass Rohstoffvorkommen und deren Ausbeutung nicht über dem Recht der Menschen an ihrem Land stünden und dass eine dadurch nötige Umsiedlung als weiterführender kolonialer Akt zu sehen sei.
Mit dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts im Rücken urteilte Richterin Annali Basson am 22. November, dass der Minister für Bodenschätze, Gwede Mantashe, die Zustimmung (consent) der Gemeinschaft als Inhaberin von Landrechten einholen muss, bevor er eine Bergbaulizenz vergibt. In ihrem Fazit erklärte sie, dass das Gewohnheitsrecht der traditionellen Gemeinschaften aufgrund der Benachteiligung und Missachtung während der Apartheidzeit unter besonderem Schutz der Verfassung stünde. Damit widersprach sie auch Minister Mantashe, für den der Minerals and Petroleum Resources Development Act (MPRDA) Vorrang vor dem Protection of Informal Land Rights Act (IPILRA) hat. Richterin Basson verpflichtet mit ihrem Urteil die Regierung, das Einverständnis und die konkrete Zustimmung der Gemeinschaften einzuholen, bevor eine Lizenz an Bergbauunternehmen vergeben werden können.
Im Januar 2019 hatte Minister Mantashe auf dem Mining Indaba in Kapstadt angekündigt, er würde in Berufung gehen. Seiner Meinung nach würde diese Gerichtsentscheidung bedeuten, dass die Regierung die Macht, Lizenzen für den Bergbau zu vergeben, faktisch an die Communities abgeben würde. Dies, so Mantashe, würde ins Chaos führen.
Ins Chaos geführt hatte jedoch der Besuch Mantashes Mitte Januar in der Region, angeblich auf Einladung des ACC und obwohl ACCs Anwalt Richard Spoor Mantashe davon abgeraten hatte. Laut Spoor war es zu diesem Zeitpunkt unsinnig, da die Regierung Berufung eingelegt hatte und weitere Verhandlungen sich bis zu sieben Jahre hinziehen könnten, bis ein Urteil etwa vom Verfassungsgericht zu erwarten sei. Der Minister reiste mit hohem Polizeiaufgebot an, was die Menschen massiv verunsicherte. Bei dem Treffen selbst kamen die Gegner des Bergbauprojektes nicht zu Wort und als die Anwesenden begannen Protestlieder zu singen – und mit Stühlen zu werfen, wurden sie mit Handgranaten beschossen.
Das vergangene Jahr stand in Südafrika im Zeichen der Debatte um entschädigungslose Enteignung von Land, um das Unrecht der Vergangenheit wieder gut zu machen und die Landreform voranzubringen. Die Ereignisse in den Bergbauregionen Südafrikas, die sich immer mehr in den ehemaligen Homelands und damit in Gebieten abspielen, in denen die Menschen keine Landtitel sondern traditionelle Rechte haben, sprechen eine eigene Sprache. Enteignungen finden permanent unter mehr als fragwürdigen Umständen und zu Ungunsten der schon zu Apartheidzeiten Benachteiligten statt. Damals und heute geht es um Profite und nicht um Entwicklung – wie auch immer diese definiert wird.
Die Studie „Mining in South Africa 2018: Whose Benefit and Whose Burden?“ von Action Aid South Africa beschäftigt sich mit der Frage, warum die Menschen so skeptisch sind, wenn auf ihrem Land Bergbau betrieben werden soll.
Es wurden 483 Frauen und 275 Männer aus acht Bergbaugemeinden in acht Provinzen befragt und 79 Prozent gaben an, dass sie in keiner Weise von ihrer lokalen Mine profitiert hätten. Dem Bericht zufolge gaben nur 27 Prozent der Befragten an, dass ein Mitglied ihres Haushalts irgendwann einen Arbeitsplatz in der Mine hatte, wovon 41 Prozent Gelegenheitsjobs waren.
Das bedeutet, dass 73 Prozent der Befragten noch nie in der Mine beschäftigt waren, die ihnen angeblich Arbeitsplätze verschaffen sollte.
Die Studie belegt eindeutig, dass die betroffenen Gemeinden und Regionen keine Entwicklung erfahren, jedoch die negativen Auswirkungen des Bergbaus tragen müssen.
„Wir wollen uns entwickeln“, betont die Vorsitzende des ACC, Nonhle Mbuthuma, „ doch darunter verstehen wir Öko-Tourismus und Landwirtschaft. Bergbau bringt ausschließlich kurzfristige Gewinne, ist aber weder nachhaltig noch profitiert die kommende Generation davon.“