Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Der König ist tot – es lebe der König?

Goodwill Zwelithini kaBhekuzulu, seit 1968 König der amaZulu, starb am 12. März wahrscheinlich an COVID-19.

1984 in Sizabantu, einer evangelikalen Missionsstation im heutigen Kwazulu-Natal. Der deutschstämmige Missionar Erlo Stegen empfängt eine Delegation aus Deutschland, einen Posaunenchor auf Konzertreise durch Südafrika. Apartheid at its best: Stegen lässt als Attraktion den damaligen König der amaZulu, Goodwill Zwelithini, mit dem missionseigenen Flugzeug herbringen, die Deutschen dürfen sich – stehend selbstredend - um den König gruppieren und fotografieren, während andere amaZulu sich ihm nur knieend nähern dürfen.

Damals gehörte ich zu diesem Posaunenchor und immer, wenn der Name Goodwill Zwelithini auftaucht, fühle ich mich angesprochen. Über Stegen und seine seltsame Mission ließe sich ebenfalls viel erzählen: Brutalität, Misshandlungen, Machtmissbrauch, Korruption… Doch angesichts des Todes eines Königs rückt dies in den Hintergrund.

Der Name Goodwill Zwelithini taucht in der Geschichte Südafrikas immer wieder auf, obwohl nie ganz deutlich wird, wie viel Einfluss Zwelithini wirklich hatte, verglichen mit Inkatha-Führer Mangosuthu Gatsha Buthelezi, vor allem, wenn es um die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Vorfeld der Wahlen von 1994 geht.

Zulu-Identität

Offiziell übernimmt er 1971 - ein Jahr, nachdem die KwaZulu Territorial Authority etabliert worden war - als 8. König von rund 11 Millionen Zulu die hauptsächlich zeremoniell ausgestaltete Macht. Die Zählung beginnt 1816 mit Shaka Zulu, der aus den verschiedenen Clans der Nguni-Völker eine Nation formte. Bei seiner Amtseinführung war der damalige Apartheid-Minister für Bantu-Verwaltung zugegen und signalisierte damit die Abhängigkeit des Königs von den weißen Behörden. Gleichzeitig war Zwelithini politisch dem damaligen Minister des Banstustans KwaZulu, Buthelezi, unterworfen. Zu gerne hätte er sich in den Anfängen vom Apartheidstaat losgelöst und ein Königreich ähnlich wie eSwatini oder Lesotho ausgebaut. Doch das wusste der ebenfalls aus der königlichen Familie stammende Buthelezi zu verhindern, denn er brauchte den Monarchen als Teil Mythologie, der Geschichte und Tradition der Zulu-Nation für seine 1975 gegründete Inkatha-Partei. Auch der Versuch, sich von Inkatha durch die Gründung einer eigenen Partei zu lösen, scheiterte letztendlich daran, dass Buthelezi einerseits politische aber auch Finanzhoheit über ihn ausübte und Zwelithini kurzerhand Mittel für den royalen Haushalt strich. Seit 1884 waren die Zulu-Könige keine Souveräne mehr, sondern abhängig von den jeweiligen Kolonialstaaten. Buthelezi hingegen hatte mit der Inkatha und deren große Anhängerschaft unter den amaZulu ein Druckmittel gegenüber dem Apartheidstaat in der Hand, die ihm auch im Zuge der Demokratisierung in den 1990er Jahren seinen Machterhalt sicherte. Anders hätte er gegenüber dem ANC keine Chance gehabt. Und so zogen die Inkatha Kämpfer durch die Townships von Gauteng, töteten im Namen des Zulu-Nationalismus, in Kollaboration und finanziert von der weißen Apartheid-Regierung. Auch Jacob Zuma nutzte die Identität der amaZulu, ihren Stolz darauf, eine „Nation“ zu sein, um sich im ANC an die Macht zu bringen und letztendlich diese als Staatspräsident schamlos auszunutzen. Und mittendrin der König, gekleidet in einer Tracht, zu der sein Vater vom Apartheid-Architekt Hendrik Verwoerd überredet worden war und die auf eine Abbildung in einem 1855 veröffentlichten kolonialen Text zurückzuführen ist.

Wenn man Mondly Makhanya[1] Glauben schenkt, war der König nichts anderes als ein „nützlicher Idiot in den Händen von Buthelezi.“

Zwelithini wendete sich erst nach 1994 von Buthelezi ab und dem ANC zu, was den Niedergang der Inkatha Partei bedeutete, aber gleichzeitig auch den Bürgerkrieg beendete. Dafür wird er als Friedensstifter gefeiert und seiner erinnert. Doch vielleicht zeigt dies umso mehr, wie viel Macht er hätte haben können, wenn es ihm nicht um die finanziellen Zuwendungen, die ihm über Buthelezi vom Apartheid-Staat als König zugeteilt worden war, gegangen wäre. Nimmt man die Zahlen von 2019, so waren es 66 Millionen Rand (knapp 4 Mio. €), die der König für die Aufrechterhaltung seiner fünf Paläste, sechs Frauen und rund 26 Kinder erhält, davon eine Million Rand als Gehalt.

Festgeschrieben wurden das demokratisch äußerst problematische System und die Finanzierung traditioneller Führer – im Fall der Zulu eines kompletten Königshauses – in der Verfassung von 1996. Buthelezi drohte, die ersten demokratischen Wahlen zu boykottieren, sollte die neue Verfassung die traditionellen Systeme nicht berücksichtigen. So wurden in den Provinzverfassungen die institutionelle Rolle, die Autorität und den Status der traditionellen Monarchen festgeschrieben. Das Ende des Blutvergießens stand im Vordergrund, auch wenn den demokratischen Organisationen bewusst war, welche Probleme sie sich mit dieser Lösung ins Haus holten. Denn Königshäuser oder Chiefs funktionieren nach Prinzipien, die demokratischen Ideen und Werten entgegenstehen: Abstammung anstatt Wahl, weitgehender Ausschluss von Frauen in Ämtern und bei Rechten, etwa dem Landrecht, fehlende Repräsentation und Rechenschaftspflicht, um nur einige zu nenne.

Ingonyama Trust

Noch am Vorabend der ersten demokratischen Wahlen 1994 konnte Buthelezi mit dem letzten Präsidenten der Apartheid-Regimes, FW de Klerk, einen Deal aushandeln und den Ingonyama Trust gründen. Unter den Trust fallen die knapp 3 Millionen Hektar Land in KwaZulu-Natal, die durch die Homelandpolitik als „communal land“ ausgewiesen wurden und eigentlich der Allgemeinheit (commons, Allmende) gehören sollen. Kein anderes ehemaliges Homeland hat ähnliche Strukturen. Der amtierende König ist jeweils der alleinige Treuhänder dieses Landes.

Nicht erst seit der Debatte um die Landreform ist der Trust in die Schlagzeilen geraten. Immer wieder wurde von Zwangsevakuierungen, Landraub oder Verstoß gegen Geschlechtergerechtigkeit berichtet.

Während der Apartheid erhielten viele Schwarze Südafrikaner*innen in ländlichen Gegenden "Permission to occupy"-Zertifikate (PTO): Ein informelles Recht, das weniger Rechtssicherheit bietet als ein Eigentumsrecht, das aber laut einem Apartheidgesetzt nicht ohne die Zustimmung des Besitzers entzogen werden kann. Dem Trust wird vorgeworfen, spätestens seit 2006 diese PTOs annulliert und von den Besitzer*innen verlangt zu haben, stattdessen Mietverträge abzuschließen - was die Landbesitzer*innen zu Pächter*innen von Land macht, das ihnen seit Generationen aufgrund des Gewohnheitsrechts gehört. Sie treten damit ihre Rechte an das Land ab und müssen Pacht an den Trust zahlen, der eigentlich gegründet wurde, um sie zu unterstützen.

„Der Trust hat die Gemeinden zu Pächtern gemacht, indem er ihnen ihr eigenes Land verpachtet hat", erklärte die unlängst verstorbene Menschenrechtsaktivistin Sizani Ngubane, die zusammen mit Menschenrechtsgruppen gegen den Ingonyama Trust im März 2020 vor Gericht ging. „Die Pacht steigt jedes Jahr um 10%.  Können die Menschen nicht zahlen, droht die Räumung.“

Im November 2017 leitete der ehemalige Präsident Kgalema Motlanthe[2] eine Untersuchung gegen den Trust aufgrund vieler finanzieller Missstände ein und kam zu dem Schluss, dass der Trust aufgelöst und das Gesetz, das ihn etablierte, aus der Verfassung gestrichen werden sollte. Das Gremium berichtete, dass "es wenig Beweise dafür gibt, dass die Einnahmen aus den Pachtverträgen zum Nutzen der Gemeinden oder ihrem materiellen Wohlstand verwendet werden." Motlanthe hatte Sorge, dass eine weitere Unterstützung des Trusts langfristig Wählerstimmen kosten würde.  „Es muss klar sein, dass der ANC die Unterstützung des Volkes genießt, nicht die der traditionellen Führer. Die meisten von ihnen verhalten sich gegenüber den Menschen in den Dörfern wie kleine Diktatoren."

Daraufhin verkündete Zwelithini 2018, er wolle ein unabhängiges KwaZulu, denn ein König ohne Land sei kein König. Und dies werde er zur Not auch mit Gewalt durchsetzen. Erinnerungen an die marodierenden Inkatha-Krieger wurden wieder wach, obwohl wahrscheinlich keine reale Gefahr bestünde, denn weder gibt es eine straffe Organisation wie damals die Inkatha, noch gibt es eine sogenannte Dritte Kraft im Hintergrund, die einen solchen Aufstand finanzieren würde. Allerdings gab es neue Verbündete des Königs, nämlich das Afrika-Forum, ein Zusammenschluss weißer radikaler Landreformgegner. Das war dem ANC zu heiß und er distanzierte sich von Motlanthe.

Die neue Landreform, deren Entwurf derzeit diskutiert wird, soll eine stärkere richterliche Aufsicht über Landansprüche gewährleisten und Hürden für die Landrückgabe beseitigen. Dies könnte auch Auswirkungen auf den Ingonyama Trust haben. Gleichzeitig wird derzeit vermutet, dass die Regierung nach dem Tod von Zwelithini die Auflösung des umstrittenen Trusts vorantreiben wird. Es ist zu hoffen, dass es auch in dem Gerichtsfall zu einem baldigen Urteilsspruch kommt.

Xenophobie

In den Nachrufen war viel von Zwelithinis Rolle als Friedensstifter um die ersten demokratischen Wahlen die Rede. Davon war aber in den letzten Jahren wenig übrig. Er machte eher Schlagzeilen mit homophoben Kommentaren, die 2012 zu einer Untersuchung durch die südafrikanische Menschenrechtskommission führten, oder mit fremdenfeindlichen Äußerungen in einer Rede im Jahr 2015, die einen Ausbruch von Gewalt in der Provinz entfachte.

Nicht nur wetterte er gegen in Südafrika lebende Menschen aus anderen afrikanischen Ländern, er drehte auch die Exilerfahrung der Apartheidzeit in ihr Gegenteil: "Als ihr [südafrikanische Exilanten] in ihren Ländern wart, habt ihr ihnen geholfen, ihre Freiheit zu erlangen. Ich weiß, dass andere Länder durch die Befreiungsarmeen aus Südafrika befreit wurden." Das von einem Mann zu hören, der während der Apartheidzeit eng mit dem Unterdrückungsstaat zusammengearbeitet hatte, war ein starkes Stück.

Kurz vor Ostern 2015 verurteilte Zwelithini in einer Rede migrantische Ladenbesitzer*innen als Kriminelle und forderte: "Packt eure Koffer und geht." Die dramatischen Folgen dieser Rede waren brutale Angriffe auf Schwarze Menschen, die aussahen, als würden sie nicht aus Südafrika stammen. Die Übergriffe begannen in Townships und breiteten sich bis in die Innenstädte aus. Zwelithinis Reaktion darauf war der Vorwurf gegen die Presse, sie habe ihn falsch zitiert. Es gab auch hier eine Untersuchung, doch ohne wirkliche Ergebnisse, die etwas Grundsätzliches verändern würde.

Nachfolge

Für die Interimszeit, bis ein neuer König ausgesucht wurde, regiert Zwelithinis dritte Ehefrau, Königin Mantfombi MaDlamini Zulu, eine Schwester König Mswati III. aus Swasiland. Sie hat acht Kinder, darunter fünf Söhne. Ihr ältester Sohn, Prince Misuzulu, wird als Thronfolger gehandelt.

Eine Debatte über Sinn und Zweck, über Ausgestaltung und gesetzliche Bindung eines Königshauses an sich ist leider nicht in Sicht. Nach wie vor spielt die Identität und ethnische Zugehörigkeit für viele amaZulu eine wichtige Rolle. Dem können auch Skandale nichts anhaben. Anscheinend brauchen die Menschen verlässliche Strukturen, Idole oder Symbole, an denen sie sich festhalten können.

Ähnliches kennen wir aus unserer eigenen Geschichte und Gegenwart: Denn warum würden Menschen eine Partei immer wieder wählen (mit Betonung auf die Freiwilligkeit des Aktes), die von Korruptionsskandalen oder Spendenaffären erschüttert wurde? Warum werden Haftungen nicht diskutiert, Lobbyismus nicht eingeschränkt und Transparenz gefordert?

Der König ist tot – es lebe der König!


[1] https://www.news24.com/citypress/columnists/mondlimakhanya/king-goodwill-zwelithini-apartheids-useful-idiot-20210314

[2] mg.co.za/article/2020-01-29-anc-and-the-state-step-back-from-taking-action-against-zulu-kings-land-trust/