Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Erinnerungskultur und Musikgeschichte in Namibia

„Stolen Moments. Namibian Music History Untold“: Der lange Weg zur Ausstellungseröffnung in Windhoek

Die Ausstellung „Stolen Moments. Namibian Music History Untold“ sollte eigentlich am 2. Dezember 2022 im Independence Memorial Museum eröffnet werden. Das war schon spät für den Museumsbetrieb, der Mitte Dezember für die Sommerpause schließt. Esther Moombolah-/Gôagoses, die Leiterin des National Heritage and Cultural Program, hätte am liebsten gleich im neuen Jahr eröffnet. Doch dann wäre eine Zusammenarbeit mit der Popakademie Mannheim, die zeitgleich ein ebenfalls durch das Baden-Württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst MWK Projekt mit namibischen Musiker:innen vor Ort am Laufen hatte, nicht zustande gekommen.

Mit dem Termin des 2. Dezember 2022 im Hinterkopf hatte ich meine Dienstreise um eine Woche verlängert, um dann vor Ort die Ausstellung offiziell an die namibischen Kolleg:innen vom Museum übergeben zu können. Birgit Albrecht, ohne deren logistische Unterstützung die Ausstellung niemals in Namibia angekommen wäre, war ebenfalls vor Ort. Letztendlich war sie es dann, die eine Woche später zusammen mit der namibischen Ministerin für Bildung, Kunst und Kultur und dem deutschen Botschafter die Ausstellung vor geladenen Gästen eröffnete. Und ohne die großzügige Zuwendung aus dem MWK, die ein Einsehen hatten mit den aufgrund der Pandemie und des Ukrainekriegs erhöhten Kosten, der Heinrich-Böll Stiftung und dem Auswärtigen Amt, die sehr kurzfristig weitere Mittel zur Verfügung gestellt hatten, wäre das Projekt nie gelungen.

Schon von Beginn des Projekts an kam es zu Verzögerungen, die einerseits pandemiebedingten Engpässen etwa bei Holz, aber auch unklaren Besitzverhältnissen bei Ausstellungsobjekten und Zuständigkeiten vor allem im Iwalewahaus der Universität Bayreuth und später dann auch im Independence Museum verschuldet waren. Die Ausstellung war in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth entstanden[1] und im Rahmen des Projekts mit dem MWK vom 11.10. bis zum 21.11.2021 in Stuttgart gezeigt worden. Seit der Finissage in Stuttgart wurde sie in Bayreuth zwischengelagert. Ursprünglich war gedacht, dass sie von Stuttgart aus direkt nach Namibia verschifft werden sollte. Doch zu dem Zeitpunkt der Finissage waren in Namibia weder eine Partnerorganisation noch ein Ausstellungsort gefunden gewesen. Der Leiter des Iwalewahauses war krankheitsbedingt ausgefallen, was eine Zusammenarbeit zusätzlich erschwerte, Prozesse verlangsamte und die Arbeitsbelastung für die KASA enorm erhöhte. Plötzlich mussten wir uns um einen Container, um die Verschiffung oder um Überlassungsverträge der Fotografien oder Kunstgegenstände kümmern. Als dann endlich ein geeigneter Ort mit dem Independence Memorial Museum gefunden und ein Memorandum of Understanding unterschrieben worden war, zeigte sich die Zusammenarbeit mit den namibischen Stellen aufgrund der Struktur des Hauses und der internen Arbeitsaufteilung ebenfalls als nicht gerade einfach. So kostete die Frage, ob Löcher in die Wände des großen Saales gebohrt werden dürften, einige Wochen der Arbeitszeit der Kuratorin Aino Moongo. Von Bayreuth aus konzipierte sie die Ausstellung komplett neu für den jetzt zur Verfügung stehenden Raum, in Zusammenarbeit mit den Kolleginnen in Windhoek.

Ende September war der Container beladen und Anfang Oktober auf dem Weg nach Walvis Bay. Doch auch bei der Verschiffung kam es zu einer Verzögerung von mehr als einer Woche, die letztendlich auch dafür sorgte, dass der Aufbau im Museum nicht planmäßig abgeschlossen werden konnte.

Das Independence Memorial Museum ist ein Geschichtsmuseum in Windhoek und ist dem antikolonialen Widerstand und der nationalen Befreiungsbewegung Namibias gewidmet. Das 2014 eingeweihte Museum befindet sich an der Stelle, an der früher das umstrittene Reiterdenkmal seinen Platz hatte – dieses kann man nun vom Restaurant des Museums aus im etwas verwilderten Hof der Alten Feste sehen – und wurde von einem nordkoreanischen Unternehmen entworfen und gebaut. Der Charakter der Museums- und Ausstellungsarchitektur stellte eine große Herausforderung für die Einbettung von Stolen Moments in den großen Panoramasaal dar. Vor Ort mussten Arbeiter angestellt werden, die den komplexen Um- und Aufbau der Ausstellung umsetzten: es wurden Glasvitrinen und Holzwände gebaut und bemalt, schwere Bilder an die hohen Wände gehängt, sowie Technik und Licht installiert.

Ganz fertig war der Aufbau trotz aller Wochenend- und Nachtarbeit des Teams um die Kuratorin dennoch nicht, als die Ausstellung am 9. Dezember 2022 eröffnet wurde – später wäre aufgrund der anstehenden Sommerpause um Weihnachten nicht möglich gewesen. 

Zeitgleich stellte Thorsten Schütte, der mit der Kuratorin Aino Moongo und dem Leiter des Iwalewahauses, Ulf Vierke, zusammen das Stolen Moments-Projekt ins Leben gerufen hatte, eine Band aus den Workshopteilnehmer:innen der Popakademie Mannheim zusammen. Sie sollten bei der Ausstellungseröffnung die Lieder aus den Jahren 1950 bis 1990, von denen in der Ausstellung die Rede ist, spielen. Interessant an der Band war, dass sie fast sämtliche Sprachen Namibias gemeinsam musikalisch zu Gehör bringen konnten, unabhängig davon, welche ihre jeweilige Muttersprache war – nach wie vor nicht selbstverständlich. Ethnische Zugehörigkeit spielt wieder - so hörten wir auf Nachfrage - eine größere und damit separierende Rolle, obwohl die Regierung dies mit ihrem Mantra der Einheit zu verhindern sucht. Dass die Bandmitglieder großen Spaß an diesem Projekt hatten, wurde bei der Eröffnung mehr als deutlich, als sie die Besucher:innen zum Tanzen brachten. Der deutsche Botschafter versprach ihnen direkt begeistert, sie bei der nächsten Gelegenheit zu engagieren.

Boyson Ngondo, der stellvertretende Leiter des Ministry of Education Arts and Culture, moderierte den Abend, und Ministerin Anna Esther Nghipondoka eröffnete die Ausstellung offiziell. Birgit Albrecht vertrat die KASA und der deutsche Botschafter Herbert Beck sprach ebenfalls ein Grußwort. Die Eröffnung fand ausschließlich mit geladenen Gästen statt, die hauptsächlich die Kunst- und Kulturszene des Landes repräsentierten.

Die namibische Öffentlichkeit konnte die Ausstellung bisher noch nicht besuchen, da zuvor noch Restarbeiten abgeschlossen werden müssen. Geplant ist die Wiedereröffnung Mitte März 2023. Dann jedoch, so versicherte Olivia Nakale, eine der Kuratorinnen des Museums, werden auch Schulklassen die Ausstellung besuchen. Derzeit wird ein Konzept erarbeitet, mit dem die Kolleg:innen vor Ort durch die Ausstellung führen können.

Die Begleitbroschüre der KASA zur Ausstellung in Stuttgart ist zumindest für die deutschsprachigen Besucher:innen in Windhoek zugänglich. Dort wird auch explizit Bezug auf die historische Verbindung der Ausstellung zum Genozid an den Nama, Damara und Herero von 1904 genommen. Vielleicht gelingt es uns ja noch, Mittel für eine Übersetzung ins Englische zu finden. Das zumindest hatten sich die Kuratorinnen des namibischen Museums, Olivia Nakale und Lydia Kewende Nghilundilua, gewünscht.

Die Idee von Stolen Moments war und ist, die Musik des Widerstandes gegen die südafrikanische Herrschaft und Apartheidpolitik für die breite Bevölkerung wieder hörbar und zugänglich zu machen. Daher ist ein weiteres Projekt des Filmemachers Thorsten Schütte, nicht nur eine mobile Ausstellung zu konzipieren, sondern auch die Stolen Moments Band auf Tour in die ländlichen Gebiete Namibias zu schicken, um die Musik wieder zum Leben zu erwecken.

[1] Siehe ausführlich dazu https://www.kasa.de/service/ausstellungen/detail-ausstellungen/stolen-moments-namibian-music-history-untold/