Seit einigen Jahren begleitet die KASA das Bokamoso Art Centre in Ratanda, Südafrika bei dem Versuch, von der Stadt Heidelberg/Gauteng ein Grundstück für den Bau eines Kulturzentrums im Township zu bekommen und gemeinsam mit dem deutschen Partnerverein Moko e.V. hier in Deutschland Anträge für das Projekt zu stellen. Vor Ort führten wir bei unserer Dienstreise 2015 einen Workshop mit Mitgliedern des südafrikanischen Vereins durch und brachten ihn mit lokalen Partnern in Kontakt, die vor allem bei den Gesprächen mit Behörden behilflich sein konnten. Doch immer wieder wurden dem Projekt Steine in den Weg gelegt, die nicht immer identifizierbar und damit ausräumbar waren.
Dann kam der Lockdown und mit ihm die Arbeitslosigkeit, die Preiserhöhungen und der damit verbundene Hunger in vielen Teilen der Gesellschaft. Eine ausweglose Situation, die aber dennoch auch positive Wendungen mit sich brachte. Es war allen Beteiligten klar, dass die Folgen des Lockdowns noch lange zu spüren sein werden und dass mit Kultur in nächster Zeit kaum Geld zu machen, kein Einkommen zu schaffen wäre. Die Spendengelder, die aus Deutschland über die Chöre mobilisiert werden konnten, waren nicht die Lösung langfristig. So begannen die Mitglieder von Bokamoso, zu dem auch der Lesedi Show Choir gehört, in ihren Hinterhöfen Gemüse anzubauen und dazu oft versiegelte Flächen nutzbar zu machen. Ein erster Schritt in einen Paradigmenwechsel. Mit Hilfe von Freund:innen aus Deutschland konnte eine kleine Farm, zwischen dem Township Ratanda und dem alten weißen Stadtzentrum Heidelberg gelegen, gekauft werden und ein lang gehegter Traum nach einem eigenen Zentrum wurde ganz unverhofft wahr: Platz für Musik, Kultur und Empowerment, aber mit einem neuen Fokus auf einkommensschaffende Maßnahmen, die nicht vordergründig die Kultur subventionieren sollte, sondern die Lebensgrundlage für Chormitglieder sichern würden. Das Farmhaus ist groß genug, so dass zukünftig auch Gästezimmer angeboten werden können. Die zum Teil enorm renovierungsbedürftigen Nebengebäude bieten eine Grundlage für viele mögliche Projekte und die Verwirklichung von Träumen.
Landwirtschaft
Der frühere Besitzer hatte vor allem Rinder gehalten. Für Bokamoso Home steht der Gemüseanbau und möglichst Hühnerhaltung im Vordergrund. Je zwei Mitglieder hatten die Möglichkeit, über Spenden der deutschen Partner:innen eine erste Ausbildung für Gemüseanbau und Hühnerhaltung zu absolvieren. Erfahrungen der (weißen) Nachbarn wurden eingeholt und bald schon wurde klar, dass zunächst Kohl und Spinat angebaut werden sollten. Hühner jedoch müssen in großem Stil gedacht werden, um lukrativ zu sein, so dass diese Umsetzung noch mehr Vorlauf braucht. Die Idee ist, dass Mitglieder sowohl des Chors als auch des Townships die Produkte kaufen werden. Dafür müssen die frischen Produkte günstiger sind als im Supermarkt angeboten werden.
So weit so gut. Unsere Dienstreise führte uns in Sambia zu einem spannenden Projekt der Jesuiten. In Kasisi, einer kleinen katholischen Missionsstation kurz hinter dem Flughafen Lusakas gelegen, wird seit den 1970 Jahren mit Kleinbauern und -bäuerinnen gearbeitet. Dort können sie etwa ein Jahr lang eine Parzelle bepflanzen, erhalten Beratung und Unterstützung bei der Vermarktung. Da dieses Projekt jedoch finanziell an seine Grenzen stößt, bieten sie auch einwöchige Kurse für Farmer:innen im ökologischen Landbau an. Als wir mit Pater Claus, einem jungen deutschen Jesuiten, das Projekt besuchten und vor allem die Artenvielfalt des Anbaus und die kreativen Ideen bei der Vermarktung sahen, war klar, dass die bei Bokamoso Home verantwortlichen für den Gemüseanbau unbedingt einen solchen Kurs besuchen sollten. Denn Südafrika zeichnet sich aufgrund seiner Geschichte durch eine für die Region enorm arme und auf europäische Traditionen stützende Gemüseauswahl aus: Kohl, Spinat, Karotten, vielleicht noch Kürbisse. Und das, obwohl viel mehr wächst, etwa der in Sambia und Simbabwe angebaute Amaranth – wovon vor allem die Blätter gegessen werden – oder anderes Blattgemüse wie Raps, Kürbisblätter oder verschiedene Blattkohlarten. Einerseits ist der Markt gerade in Gauteng durch eine große Zahl von Migrant:innen vorhanden, andererseits würden diese Gemüsearten den Speiseplan der Einheimischen abwechslungsreicher gestalten. Hier können auch die konkreten Erfahrungen mit der Direktvermarktung in Sambia für eine Planung in Bokamoso weiterhelfen. Nahe der neu errichteten Mauer, dort, wo jüngst gerodet worden war, fand sich auch bereits die lokal als Morogo bekannte Pflanze. Der Gärtner kannte sie zwar, wusste aber nicht, wie sie zubereitet werden kann. Wir teilten unsere Erfahrungen aus den Nachbarländern ebenso wie die Empfehlung, aus diesen Pflanzen erste Samen selbst zu ziehen. Samentauschbörsen sind ein anderes, inzwischen in vielen Ländern genutzte Möglichkeit, um an großen Agrarkonzernen vorbei, wieder alte Sorten zu züchten und zu verbreiten. Auch dafür konnten wir in Gauteng bereits Kontakte herstellen, da sich der Sohn von Bischof Seoka – mit dem wir zu BASF und Marikana zusammenarbeiten – sehr dafür interessiert und gerne vermitteln würde.
Nähstube
Zunächst wurde ein kleiner Schuppen umgebaut zur Nähstube, doch die Lichtverhältnisse waren ungenügend und so zogen die Nähmaschinen in ein Lichtdurchflutetes Zimmer im ersten Stock des Haupthauses. Dass hier noch ein externer Zugang gebaut werden muss, da der Raum bisher nur über das Schlafzimmer erreichbar ist, stellt kein Hindernis dar für die älteren Damen, die den jungen Nähen beibringen. „Wir haben schon seit vielen Jahren gute Kontakte zu Schulen, in denen wir Musikworkshops und Unterricht anbieten oder auch schon von unseren Gagen aus Deutschland Trikots für Fußballmannschaften gekauft haben“, berichtet Thabang Mokoena, Leiter des Lesedi Show Choirs und Geschäftsführer von Bokamoso Home. Die ersten Prototypen der Schuluniformen liegen auf dem Tisch des noch karg eingerichteten Raumes. Damit, so ist sich Thabang sicher, lassen sich dauerhaft Aufträge sichern und dann auch Gehälter zahlen. Langfristig muss auch hier eine breite Angebotspalette her. Da kommt die Idee, einen erfahrenen Schneider aus Simbabwe für einen Workshop einzuladen, gerade recht. Yaper Hoper, genannt Perks, näht manchmal für Kudhinda, einem renommierten Unternehmen in Harare zusammen und verkauft recht erfolgreich auf verschiedenen Märkten in Harare. Seine Qualität ist herausragend, seine Erfahrung langjährig und er hat Spaß an der Idee, dem kleinen Projekt in Ratanda unter die Arme zu greifen.
Musik
Begonnen hat alles mit dem Lesedi Show Choir, der jungen Menschen aus Ratanda eine Heimat gibt, ihre Talente fördert und durch Konzertreisen nach Deutschland auch immer wieder Geld einspielt. Aus dem Chor heraus entstand ein Männerquartett, dann eine Instrumental-Band und schließlich die Women in Power-Band. Sie alle proben nach Möglichkeit in Bokamoso Home, haben einen Probenraum renoviert und durch Auftritte auch zuweilen Einnahmemöglichkeiten. Hierbei spielt Bewahrung traditioneller Musik eine ebenso wichtige Rolle wie Fortbildung in Sachen Musiktheorie oder kreative moderne Interpretation. Einige von ihnen gehen noch zur Schule und nehmen den Weg jeden Abend auf sich, um zu proben. Andere haben Gelegenheitsjobs und müssen damit ihre jungen Familien ernähren – ein Ding der Unmöglichkeit, seit Corona fast alle informellen Arbeitsmöglichkeiten zerstört hat. Sie brauchen dringend feste und gesicherte Einkommen. Genau das war mit der Auslöser, überhaupt ein solches gewaltiges Projekt in Angriff zu nehmen. Die Pandemie machte deutlich, was vorher schon klar war: die Chancen, mit Kultur und Musik einen Lebensunterhalt zu finanzieren, sind für die meisten zu gering. Es gibt zu viele Talente, zu wenig Förderung und zu wenig Strukturen, die solche Lebenskonzepte ermöglichen. Es kann, wenn überhaupt nur ein Nebenerwerb sein. Doch wovon sollen die Sänger:innen und Bandmitglieder leben in einem Land, dessen Jugendarbeitslosigkeit bei knapp 70 Prozent liegt? Sie haben zwar abgeschlossene Schulausbildungen aber keine weitere Qualifikation und nur die wenigsten können sich ein Studium leisten. Auch dann ist nicht gewährleistet, dass sie einen Job bekommen. Und wenn, fallen sie aus dem Chorprojekt raus, denn Arbeitszeiten und ausgedehnte Konzertreisen sind nicht kompatibel. Die Idee, in Bokamoso Home Musik mit anderen einkommen schaffenden Maßnahmen zu kombinieren, könnte mit einem Gesamtkonzept funktionieren. Das Ziel ist, hier möglichst viele dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen, die dann auch von Chormitgliedern besetzt werden können. Dazu gehört auch die geplante Veranstaltungshalle auf dem Gelände, in der sowohl eigene Konzerte als auch Vermietungen wie Hochzeiten, Trauerfeiern oder ähnliches stattfinden könnten – langfristig mit einem Komplettangebot aus Catering und Rahmenprogramm.
Die Farm liegt sehr günstig zwischen der „weißen“ Stadt Heidelberg und dem “schwarzen“ Township Ratanda, aus dem die Chormitglieder kommen, so dass prinzipiell der Zugang von beiden Seiten möglich ist. Dies bietet gerade für Veranstaltungen eine gute Voraussetzung, denn auch in Heidelberg selbst ist kulturell nicht wirklich viel geboten.
„Ich will im Hof eine Bühne aufbauen, dann können wir kleine Konzerte am Wochenende veranstalten, Essen und Getränke dazu verkaufen,“ so Thabang. Die Idee dahinter ist auch, eine Brücke zwischen den durch die Apartheidarchitektur getrennten Stadtteilen zu schaffen und Vorurteile und Rassismen abzubauen. Dies kann besonders gut mit Musik gelingen und wird durch einen geschützten Rahmen gefördert.
Nachhaltigkeit
Strom ist ein Problem in Gauteng. Immer wieder kommt es zu sogenannten Loadsheddings: die Regierung legt fest, wer wie lange wann vom Netz genommen wird. Townships trifft es öfter, Schwerindustrie selbstredend nie. Der Stromversorger ESKOM hat es einerseits versäumt, die Bedarfe im neuen Südafrika seit 1994, als vermehrt Haushalte ans Stromnetz angeschlossen wurden, richtig zu planen und vorzusorgen, ist andererseits aber auch von Korruption und Missmanagement geprägt, so dass der Output weit hinter dem liegt, was ein zudem industrialisiertes Land wie Südafrika braucht. Wenn dann noch durch Klimawandel weniger Wasserkraft zur Verfügung steht, Kohlekraftwerke veraltet sind, viel zu spät über erneuerbare Energie nachgedacht wird, dezentrale Energieversorgung nicht gefördert wird, ist das Ergebnis nachvollziehbar. Kein Strom bedeutet im Fall von Bokamoso Home auch kein Wasser, denn dieses wird durch einen eigenen Brunnen versorgt: Kein Strom, keine Pumpe, kein Wasser.
Daher war von Anfang an ein zentrales Thema eine Photovoltaikanlage, die für das Hallendach geplant ist. Oberbürgermeister Würzner von der deutschen Partnerstadt Heidelberg hat dafür bei einem Benefizkonzert in diesem Jahr finanzielle Unterstützung zugesagt. Doch dafür müssen Kontakte geknüpft, Angebote eingeholt werden. Und alles immer gleichzeitig.
Die personelle Kapazität für das Projekt sind derzeit noch sehr beschränkt. Viel wird über Spenden aus den deutschen Chören finanziert, die etwa in einen Fonds fließen, aus dem Löhne für einen Gärtner und Hausmeister und für die Bauarbeiter bezahlt werden oder von denen die berichteten Weiterbildungen ermöglicht werden. Von den Chor- und Vereinsmitgliedern wird viel ehrenamtliches Engagement erwartet, Mitarbeit und einen langen Atem.
Derzeit fließen keinerlei öffentliche Gelder oder Projektmittel über Anträge nach Ratanda. Und was innerhalb weniger Monate entstand, ist vielversprechend. Thabang Mokoena hat durch seine langjährige Erfahrung in der Arbeit in seiner Community den Wert von Netzwerken, Zusammenarbeit und Integration gelernt und setzt dies kreativ um. Er bezieht auch die Nachbarn, die ebenfalls nur knapp über die Runden kommen und keine europäischen Spender:innen haben, mit in die Planung neuer Projekte ein. So kann es am Ende ein Projekt etablieren, dass alle vorhandenen Potentiale mobilisiert, sich selbst trägt und eine Inspiration für die Gemeinschaft sein kann.