Ruth Weiss musste lange darauf warten, dass Südafrika sie öffentlich für ihr lebenslanges Engagement ausgezeichnet: Am 28. April 2023, dem Freedom Day, erhielt sie in Südafrika den Companions of OR Tambo – Orden, der herausragende ausländische Persönlichkeiten für ihre Freundschaft mit Südafrika auszeichnet. Ruth Weiss erhielt den Orden „für ihren Beitrag zum Befreiungskampf. Ihre zahlreichen Schriften brachten die Ungerechtigkeiten in Südafrika ans Tageslicht. Sie war eine Quelle des Wissens für andere Journalist:innen und Aktivist:innen“, so die offizielle Begründung.
In ihrer Reaktion bleibt sie bescheiden: „Es war so unerwartet und doch so wunderbar! Südafrika war meine zweite Heimat – ich engagierte mich auch dann noch, als man mir die südafrikanische Staatsbürgerschaft aberkannt hatte und ich erst in den 1990er Jahren zurückkehren konnte… Doch ich denke nicht, dass ich das verdient habe. Ich saß nicht wie meine vom Geheimdienst ermordete Freundin Ruth First 180 Tage in einem Gefängnis und wurde nicht wie Albie Sachs in die Luft gesprengt. Ich war auch nicht wie Denis Goldberg 22 Jahre im Gefängnis. Ich war nur eine von vielen, die ihren kleinen Teil zum Ende der Apartheid geleistet haben.“
Das sehen wir, die Ruth Weiss kennen, jedoch anders. Nicht nur, dass sie sich immer für die Belange der Frauen und besonders für ihren Beitrag zu den Befreiungskämpfen interessierte und diese sichtbar machte, sie begeisterte viele Journalistinnen für Wirtschaftsredaktionen. Zunächst arbeitete sie jedoch in einer Rechtsanwaltskanzlei in Südafrika und kam erst durch ihren Mann Hans Weiss - einem deutsch-jüdischen Journalisten, der für deutsche Medien arbeitete - zum Journalismus. Sie begann unter seinem Namen oder mit einem Pseudonym die ersten Wirtschaftsartikeln zu veröffentlichen. Ihre internationale Reputation blieb lange in Südafrika unbeachtet.
Mit ihren 99 Jahren – sie wurde 1924 in Fürth geboren - ist sie eine der letzten Zeitzeuginnen des Holocaust, und verbindet diese Erfahrungen mit dem, was sie in Südafrika der Apartheidzeit erlebt hat. Sie musste nicht nur Deutschland, sondern auch Südafrika aus politischen Gründen verlassen. 1966, als sie im heutigen Simbabwe (damals Südrhodesien) arbeitete, wurde sie zur Persona non grata erklärt und durfte bis zum Ende der politischen Apartheid nicht mehr nach Südafrika einreisen. Und auch das rassistische Südrhodesien warf die Journalistin wegen ihres Newsletters Rhodesian Round-UP aus dem Land. Sie zog weiter nach Lusaka und fand im sambischen Präsidenten Kenneth Kaunda einen Unterstützer der Befreiungsbewegungen des Südlichen Afrika. In diesem für den afrikanischen Kontinent so zentralen historischen Moment begegnete sie nicht nur den verschiedenen Befreiungsbewegungen, sondern auch den künftigen Präsidenten der bald unabhängig werdenden Staaten. Sie schöpft bis heute in ihrem hohen Alter aus diesem Erfahrungsschatz, sie kennt Details der Unabhängigkeitsverhandlungen, die noch in keinem Artikel verarbeitet worden sind und war an geheimen Treffen anwesend, deren Teilnehmenden zum großen Teil verstorben sind.
Wie gut, dass etwa die Basler Afrika Bibliographien ihre Interviews digitalisiert und für eine Ausstellung unter dem Titel „Meine allererste Frage an Sie" zugänglich gemacht hat. Mit dieser Eröffnungsformel interviewte Ruth Weiss 1979 Kenneth Kaunda ebenso wie die erste schwarze namibische Ärztin Libertine Amathila, die zwischen 2006 und 2010 Vizepremierministerin des Landes war. Auch bedeutende südafrikanische Persönlichkeiten waren darunter. Mit Miriam Makeba etwa sprach sie auf deren Deutschlandtournee im Jahr 1978, im selben Jahr auch mit Nadine Gordimer, die eine lebenslange Freundin blieb. Zu dieser Zeit arbeitete Weiss für die Deutsche Welle in Köln.
Auch mit Oliver Tambo, dem Namensgeber des Order of Companions, führte sie 1985 ein Interview. Er war damals ANC Präsident im Exil und konnte, wie sie, erst in den 1990er Jahren wieder seinen Fuß auf südafrikanischen Boden setzen.
Ihr antirassistischer Blick, geprägt von den eigenen Erfahrungen aus der Kindheit im Nazi-Deutschland aber leider auch im Deutschland der 1970er Jahre, gepaart mit einem scharfen Verstand und einem unglaublichen Gedächtnis macht sie bis heute so wichtig für die zivilgesellschaftlichen Kämpfe und Bewegungen für das Südliche Afrika. Sie lässt es sich nicht nehmen, auch im hohen Alter noch Lesungen in Schulen zu halten oder unsere Newsletter zu Simbabwe zu lesen und zu kommentieren.
Doch auch für unsere aktuelle Situation in Deutschland erhebt sie ihre Stimme. Im Juli 2022, anlässlich ihres 98. Geburtstags, spricht sie im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse über Hass in unserer Gesellschaft und verbindet dies mit der aktuellen Situation in Südafrika:
„Ich fordere nicht allgemeine Liebe anstatt Hass, sondern Verständnis und Verständigung - also Toleranz. Ich brauche nicht mit dir einer Meinung zu sein, aber ich verteidige bis zum letzten Blutstropfen dein Recht, deine Meinung zu vertreten! Man ist nicht gefragt, anders zu glauben oder zu denken, man soll nur den anderen erlauben, anders zu sein und sich nicht daran stören, wenn sie anders aussehen, denken und glauben. Toleranz erleichtert das eigene Leben sowie das Zusammenleben mit anderen. Sturer Nationalismus wie Faschismus, erzeugt krassen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Xenophobie, wie auch die Ereignisse der letzten Jahre in Südafrika zeigten, wo ein Mob nur aus einem Grund einen Mann namens Elvis Nyathi im Februar am lebendigen Leib verbrannten: weil er ein Flüchtling aus Zimbabwe war. Angeblich stehlen Flüchtlinge den Einheimischen Jobs. Der eigentliche Grund der Verzweiflung der armen Südafrikaner ist die Korruption der Regierung, die dem Staat Milliarden raubte und die Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen erschwerte, wie die Zondo Untersuchungskommission bewies, deren Bericht nun veröffentlicht ist. Es ist gut zu wissen, dass die ersten Schritte im Juni unternommen wurden, die Schuldigen verantwortlich zu machen.“
Ihrer Wahlheimat Südafrika bleibt sie, wie diese Rede zeigt, in besonderer Weise verbunden und wünscht sich, dass "alle Probleme gelöst werden können und eine neue Generation für ein besseres Leben für alle kämpft. Die jungen Leute sollten ihr Erbe nicht einfach hinnehmen, sondern es in Frage stellen und neue Wege finden, um mit den großen Problemen dieser Vielvölkergesellschaft umzugehen. Mein Rat an die Jugend ist immer derselbe: Bleibt nicht neutral - engagiert euch und kämpft für Gleichberechtigung. Es gibt kein 'wir und die', sondern nur 'wir', denn wir sind alle Menschen."
Im März wurde 2022 wurde bereits ihr zu Ehren in der südafrikanischen Botschaft in Berlin eine Königin von Saba-Rose gepflanzt. Und im November 2023 soll nun dort in ihrem Beisein eine offizielle Plakette enthüllt werden.