Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Otjivero verliert eine wichtige Stimme

Rudolphine Eigowas gehörte zu den Teilnehmer*innen des Basic Income Grant (BIG) Pilotprojekts von 2008/09, das eine namibische Koalition in dem kleinen Ort Otjivero durchgeführt hat. Rudolphine ist Anfang Januar an einem Schlaganfall gestorben, ohne die Früchte ihr jahrelanges Engagement für ein bedingungsloses Grundeinkommen gesehen zu haben.

Bekannt geworden ist sie als einer der Menschen in Otjivero, die sich mit den ersten Auszahlungen des BIG selbständig gemacht hatten. Sie kaufte sich eine Nähmaschine und schneiderte zusammen mit anderen Frauen die Patchwork-Kleider, die besonders zu Festen von den lokalen Frauen getragen wurden. In einer Broschüre, die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Pilotprojekts von den damaligen Initiator*innen veröffentlicht wurde, ist ihre Geschichte niedergeschrieben.

"Wir haben das Nähprojekt bereits 2007 begonnen und mussten es aufgrund fehlender Mittel und Materialien abbrechen. Doch gleich im Januar 2008, nachdem wir die erste Auszahlung des Grundeinkommens erhalten hatten, nahmen wir die Idee wieder auf. Wir sind sechs Frauen, die vor allem traditionelle Nama-Kleider nähen. Diese sind sehr gefragt, wir haben Kundinnen aus Gobabis, Witvlei, Windhoek und von den umliegenden Farmen. Besonders bei Anlässen wie Hochzeiten oder Beerdigungen tragen die Frauen unsere Kleider, die wir für N$150 (8€) verkaufen. So verdienen wir bis zu N$2.000 (107€) pro Monat. Wir haben ein Bankkonto in Windhoek eröffnet, auf dem wir unsere Ersparnisse anlegen.“ Das berichtet Rudolphine im ersten Jahresbericht, den die BIG-Koalition 2009 veröffentlichte.

Zehn Jahre später

„Die Menschen denken, dass wir noch immer ein BIG erhalten. Ich höre dies sogar übers Radio. Sie sagen, dass sich Otjivero so glücklich schätzen kann, dass sie einen BIG bekommen. Dabei bekommen wir schon lange nichts mehr.“ Als sie zum Einfluss des BIG gefragt wird, erzählt Rudolphine: „Das Gemeinschaftsgefühlt ist noch immer da, die Menschen helfen einander, sogar gestern kamen sechs Menschen zu mir. Zwei baten mich um Maismehl, zwei andere um Tee und zwei weitere um Zucker. Und ich gab ihnen, obwohl es mein letztes war. Ich weiß nicht, woher ich dann wieder etwas bekomme, aber ich vertraue auf Gott und seine Großzügigkeit.“ Ihr Ehemann Stephanus Eigowab fügt hinzu: „Wir haben gelernt, dass wenn wir teilen, wir immer etwas wieder zurückbekommen, auf die eine oder andere Weise.“ Rudolphine betont: „Das BIG hat uns wirklich geholfen, Otjivero hat sich verändert, und das zum Besseren.“

Trotzdem zeichnet sie kein rosiges Bild der aktuellen Situation. Denn die schweren Zeiten sind zurück und Gemeinde geht es nicht gut. Auch die Frauen mussten ihr Nähprojekt wieder aufgeben, denn ohne Grundeinkommen können sich die Menschen keine neuen Kleider leisten. „Damit ein Geschäft funktioniert, muss man die Nähmaschinen in Schuss halten und Material kaufen. Aber alle Menschen sind verschuldet. Und wenn du verschuldet bist, sagst du, dass du in Raten zahlen möchtest, aber auch das kannst du nicht. Ich arbeite trotzdem weiter, wenn jemand kommt und mich fragt, ob ich ein Kleid nähen könne, dann mache ich das, aber eben nicht mehr im großen Stil. Ich möchte Menschen nicht in den Ruin treiben oder sie für ihre Schulden ins Gefängnis schicken. Menschen meiden dich, wenn sie Schulden dir gegenüber haben, und du kannst ihnen nicht hinterherrennen.“

Die Verschuldung der Haushalte ist zu einem großen Problem geworden. „Als sie sahen, dass wir das Grundeinkommen erhielten, brachte die Regierung die sogenannte „Entwicklung“ ins Dorf. Wir erhielten Toiletten und wurden an das Trinkwassersystem angeschlossen - alles Dinge, für die wir bezahlen müssen. Die Regierung brachte diese Entwicklung erst, nachdem das Pilotprojekt beendet worden war. Jetzt müssen wir dieses Wasser jeden Monat bezahlen, und die Wasserkosten steigen ständig. Wir sind natürlich froh, dass Regierung die Toiletten bauen ließ, denn jetzt brauchen wir nicht mehr in die Büsche zu gehen. Aber uns war nicht klar, dass diese Neuerung mit Kosten für uns verbunden sein würde.“

Gegenwärtig zahlen die Haushalte Wasserrechnungen zwischen 30N$ und 600N$ pro Monat. „Für Menschen ohne Einkommen ist das immens viel.“

Sie versuchten, mit den Behörden zu sprechen, doch dort wurde ihnen nur gesagt, dass sie das och so hätten haben wollen. „Aber das ist nicht wahr“, erklärt Rudolphine, „hätten sie uns zugehört, wüssten sie, dass für unsere Situation Prepaid-Zähler sinnvoller sind. Denn anstatt das Wasser abzustellen, wen nicht bezahlt wird, geraten jetzt die Familien in die Schuldenfalle. Wenn Haushalte in Zahlungsrückstand geraten, wird ihr Grundstück verpfändet. Jetzt haben die Menschen in Otjivero Angst davor, dass ihnen ihr Hab und Gut, welches sie mit dem BIG erworben haben, wegen der Schulden für Trinkwasser weggenommen werden.

Besonders die Jugend hat keine Zukunft. Sie klauen und verkaufen etwa Wasserhähne zu stehlen und zu verkaufen, um Drogen zu kaufen. Nachdem das BIG ausgelaufen ist, kehrten die jungen Frauen in die illegal betriebenen Kneipen und auf die Straße zurück. Die Prostitution kam zurück, da die Frauen Geld brauchen. Und wenn es jemanden gibt, der Geld hat, dann nimmt er sie mit und macht mit ihnen, was er will. Sie werden krank und haben zu viel Angst, in die Klinik zu gehen, um Medikamente zu holen; sie bleiben zu Hause und sterben an HIV/AIDS. Tatsächlich könnte man hier einfach eine Sargproduktion etablieren, denn wir sterben hier.  Jede Woche oder zumindest jede zweite Woche müssen wir hier jemand beerdigen.

Ich würde gerne wissen, wohin das Geld der Regierung fließt. Sie behaupten, dass es kein Geld da ist, aber ihre Angestellten werden am Ende des Monats bezahlt. Woher bekommen sie dieses Geld? Für mich scheint es ein Märchen zu sein, es gibt mehr als 60.000 Regierungsangestellte, die jeden Monat ihr Gehalt bekommen. Die Regierung sollte also einfach das BIG zurückbringen, selbst wenn er zunächst nur 50 N$ pro Monat beträgt und dann jedes Jahr um 50 N$ erhöht wird.“

Ich will nur, dass sie das BIG wieder einführen, und zwar in ganz Namibia, denn die Probleme sind nicht nur hier.

2020 nahm Rudolphine an einem Wettbewerb der BIG-Koalition teil, bei dem die Teilnehmer*innen in einem kurzen Videoclip erklären, was sie von BIG halten, wie es ihr Leben verändern würde und was sie Präsident Geingob sagen würden. In ihrem Videoclip sagte Rudolphine, sie sei glücklich, dass sie die 500 gewonnen hat und dass sie es sicher verwenden würde, um etwas Wertvolles zu kaufen – wahrscheinlich eine neue Nähmaschine. Und sie bittet die Regierung darin noch mal nachdrücklich, die Umsetzung des BIG zu erwägen. Das war ihre letzte Botschaft.