In Simbabwe wurden am 23. und 24. August 2023 der Präsident, die Parlamentsabgeordneten sowie die Senatsmitglieder gewählt. In fast allen unabhängigen Vorberichten zu diesen Wahlen ist von vielen Unregelmäßigkeiten die Rede. Das ist nicht neu. Neu ist der Kontext, in dem die diesjährigen Unregelmäßigkeiten formuliert werden. Dieser Kontext könnte Simbabwe noch lange prägen.
Wahlen mit erwarteten Ergebnissen
Wer die Entwicklungen in Simbabwe verfolgt und das Land nicht erst bei der Verkündung der Wahlergebnisse entdeckt hat, weiß, dass die Regierungspartei ZANU-PF längst schon realisiert hat, dass der Befreiungsbonus nicht mehr geltend gemacht werden kann und dass bloße Versprechen nicht mehr ausreichen. Seit dem verlorenen Referendum im Jahr 2002 setzt die ZANU-PF verstärkt auf Gewalt, Erpressung und Einschüchterungskampagnen, um Wahlen zu gewinnen. Diese Strategien funktionieren am besten auf dem Land, wo das Menschenrechtsmonitoring von NGOs weniger präsent ist, wo Menschen leichter isoliert und unter Druck gesetzt werden können, auch dank der Zusammenarbeit mit traditionellen Autoritäten, die die Regierungspartei mit Konsumgütern versorgt. Dies ist, neben einer gewissen Dankbarkeit für Zugang zu Land, Saatgut, Düngern und Pestiziden, eine Teilerklärung für die große Diskrepanz der Wahlergebnisse zwischen Stadt und Land, die sich auch in diesem Jahr bemerkbar gemacht haben. Die größte Oppositionspartei Citizens Coalition for Change (CCC) gewann fast alle Parlamentssitze in Großstädten wie Harare und Bulawayo. Auch bei Präsidentschaftswahlen schnitt deren Kandidat in urbanen Zentren besser ab. Dafür stehen die ländlichen Gebiete wieder als Stimmenreservoir für die ZANU-PF, die alles kompensieren, was die Partei in urbanen Zentren nicht gewinnen kann. In Simbabwe hat sich Gewalt als Teil des politischen Systems besonders seit der Covid-19-Krise verschärft. Kaum eine Regierung im Südlichen Afrika hat de Pandemie so massiv zur Zerschlagung von Menschenrechtsorganisationen, freier Presse und Opposition ausgenutzt wie die von Simbabwe. Die größte Oppositionspartei CCC musste nicht nur ihren alten Namen, Movement for Democratic Change (MDC) sondern auch ihren Parteisitz in der Hauptstadt und ihre Konten abgeben und neu anfangen. Seit der Pandemie hat die Regierungspartei Gesetze verabschiedet, um den Handlungsspielraum nicht nur für die Opposition, sondern auch für Gewerkschaften, NGOs und Kirchen deutlich einzuschränken und besser kontrollieren zu können. Schon Monate vor den Wahlen ging die ZANU-PF mit ihrem Sicherheitsapparat so weit, dass der Opposition und den kritischen NGOs der Zugang zu bestimmten ländlichen Gebieten verwehrt wurde. Gemessen an diesen Umständen haben die CCC und ihr Präsidentschaftskandidat Nelson Chamisa mit 44 Prozent der Wahlergebnisse gegen 52 Prozent für den amtierenden Präsidenten erstaunlich gut abgeschnitten. Gleiches gilt für die Parlamentswahlen, bei denen CCC mit 41 Prozent die absolute Mehrheit der ZANU-PF verhindert hat. Somit haben die Wahlen in Simbabwe mit dem Sieg der ZANU-PF das den Umständen entsprechend erwartete Ergebnis erzielt. Spannend ist die Frage, warum sich die ZANU-PF, die die Wahlkommission kontrolliert, nicht traute, sich einen höheren Sieg zu geben. Hätten höhere Prozentsätze die Glaubwürdigkeit der Wahlen noch stärker beeinträchtigt oder hat die Opposition so gut abgeschnitten, dass alles andere unrealistisch gewesen wäre? Alle diese Fragen werden leider ungeklärt bleiben, bis vielleicht irgendwann ein Mitglied der Wahlkommission bestätigt, was tatsächlich passiert ist. Bis dahin werden Spekulationen im Raum bleiben, dass möglicherweise die Opposition gewonnen hat, wie dies auch 2013 und 2018 der Fall war. Entkräften kann diese Spekulation die ZANU-PF nur einseitig, denn die Wähler:innenliste wurde im Vorfeld nicht veröffentlicht und die unabhängige Wahlbeobachtung in jedem Büro und alle Mechanismen, die die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse hätten zertifizieren können, wurden von der Regierungspartei verhindert. So bleiben die Ergebnisse nach der Bestätigung durch einen von der ZANU-PF kontrollierten Justiz-Apparat bestehen, und dennoch sind sie mit vielen Zweifeln behaftet. Entscheidend ist die Frage, was diese Ergebnisse für die Zukunft der Demokratie in Simbabwe im aktuellen geopolitischen Kontext bedeuten.
Simbabwe, Demokratie und geopolitischer Kontext
Die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Simbabwe scheinen so massiv gewesen zu sein, dass selbst die Wahlbeobachtungsmission der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) einen erstaunlich kritischen Bericht veröffentlicht hat. Von der SADC-Wahlbeobachtermission hörte man in 2013 und 2018 Sätze wie: „Es gab viele Wahlunregelmäßigkeiten, aber diese waren nicht so massiv, um das Endergebnis beeinflussen zu können.“ Dieses Mal sagte in einer Pressekonferenz der Chefbeobachter der SADC, Dr. Nevers Mumba, ehemaliger Vizepräsident Sambias, genau das Gegenteil: „Ein fehlerhafter Prozess kann nicht zu einem legitimen Wahlergebnis führen“. Die SADC ist in ihrer Evaluierung zur Schlussfolgerung gekommen, dass die simbabwischen Wahlen die regionalen und internationalen Standards für freie und faire Wahlen nicht erfüllt haben. Die EU-Wahlbeobachtungsmission geht in die gleiche Richtung und ist in manchen Aspekten noch kritischer als der SADC-Bericht. Für die EU ist der Umgang mit Simbabwe alles andere als einfach. In ihrem Handeln ist viel Ratlosigkeit zu beobachten. Diese beginnt schon damit, dass eine Einordnung der Wichtigkeit dieses Landes schwierig zu sein scheint. Sie pendelt sich zwischen „gar nicht wichtig“[1] und „wichtig genug“, um es nicht verlieren zu wollen. Letztere von Angst getriebene Einschätzung scheint in der aktuellen Weltlage die Oberhand zu gewinnen. Schon die Wahlbeobachtungsmission 2018 war sehr kritisch und hatte konkrete Empfehlungen für den Wahlreformprozess formuliert. Keine einzige dieser Empfehlungen, die zum Teil im Vorfeld der Wahlen relevant waren, wurde umgesetzt. Die simbabwische Regierung nahm sich Zeit und erteilte der EU die Einladung zur Wahlbeobachtung erst in letzter Minute. Die Reaktionen aus der EU verrieten eine gewisse Erleichterung darüber, Teil der Beobachtungsmission der diesjährigen Wahlen zu sein. Der Vorbericht dieser EU-Mission ist auch in diesem Jahr kritisch und es ist davon auszugehen, dass der Endbericht diese Tendenz bestätigen wird. Für die Menschen in Simbabwe, die an Demokratie glauben, hat das nichts zu bedeuten, denn die EU ist in ihrem Umgang mit der Situation in Simbabwe nicht konsistent. Die Wahlbeobachtungsmission, die Interesse an demokratischen Standards zeigt, ist eine parlamentarische Mission. Neben dem Parlament gibt es den EU-Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik und den EU-Botschafter in Simbabwe, die in vielen Stellungnahmen haben durchklingen lassen, wie wichtig es ist, dem besonderen Kontext Simbabwes Rechnung zu tragen. Hinter dieser Betonnung der Besonderheit des Simbabwe-Kontextes versteckt sich eher das geostrategische Interesse, Simbabwe durch entschiedenen Verweis auf demokratische Standards nicht zu verlieren. Hier kommt der globale Kontext besonders zum Vorschein. China und Russland wollen dezidiert ihre Einflusssphären erweitern oder konsolidieren und sie behaupten von sich, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Nationen einmischen zu wollen. Entsprechend extrahieren sie aus Ländern wie Simbabwe die Rohstoffe, die sie brauchen, ohne Demokratisierungsprozesse und Menschenrechtsverletzungen zu kommentieren, besonders dann nicht, wenn sich ihre eigenen Konzerne im Bergbausektor und in der Landwirtschaft eine Rolle spielen. Auch in der EU denken einige, dass es für den Westen Zeit sei, Geschäfte zu machen. Die Militärcoups in Westafrika und die Gefährdung der französischen wirtschaftlichen, militärischen und geopolitischen Interessen dort erhöhen den Druck und bewirken eine Konzentration auf Wirtschaftsinteressen und Einflusssphären. Jedenfalls ist es interessant zu beobachten, dass EU-Vertreter wie Josef Borrel auf den Putsch in Gabun anders reagieren als auf den im Niger, in Mali oder Burkina Faso. Entscheidend für diese Reaktion scheinen nicht der Putsch selbst, der in fast all diesen Ländern ähnliche Motivationen hat, sondern die Diskurse und die Positionierung der Putschisten in geopolitischen und ökonomischen Fragen. Das ist der Kontext, in dem sich innerhalb der EU der Konflikt der Wertesysteme verschärft und das Gewicht sich zugunsten der „Business-Befürworter“ einpendeln wird. Ganz neu ist dies nicht, aber dieser neue Kontext trägt dazu bei, die Frage zu verschärfen, die sich viele afrikanische Aktivist:innen gestellt haben, nachdem die EU wegen gestohlener Wahlen ihre Beziehungen mit Weißrussland suspendiert hatte: Warum hat die EU nicht ähnlich reagiert gegenüber einigen afrikanischen Ländern, in denen Wahlprozesse ähnlich verliefen wie in Weißrussland? Hatte diese Haltung nur mit der Bewahrung ökonomischer und geopolitischer Interessen einiger EU-Mitgliedstaaten oder damit zu tun, dass es Entscheidungsträger:innen in der EU gibt, die glauben, dass Demokratie nicht für Afrika ist und dass was auch immer Menschen nach gefälschten Wahlen an politischen Regimen erhalten, gut genug für sie ist? Diese Fragen sind relevant, weil einige der Militärcoups in Afrika sich großer Beliebtheit erfreuen, was Menschen es mit formalen Demokratien satthaben, die sich nur externe Anerkennung und Loyalitäten legitimieren lassen. So gesehen mag die EU-Strategie in Simbabwe, sich mit dem ZANU-PF-Regierung zu arrangieren und die Zivilgesellschaft sowie die Opposition zu isolieren, sollte sie sich konsolidieren, kurzfristig erfolgreich sein, langfristig reproduziert sie aber genau die Fehler, die Frankreich in Gabun, Mali, Burkina Faso und im Niger gemacht hat.
Die EU hat mit den Verhandlungen um die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen einen starken Hebel, um die Beziehungen nach den Irritationen rund um den Wahlprozess wieder aufzuwärmen, bis hin zur Normalisierung. Die ZANU-PF-Eliten warten nur auf diese Gelegenheit, alle Menschenrechtsverletzungen im Vorfeld und während der Wahlen vergessen zu lassen, um durch die Business-Ecke ihren Platz als Teil internationalen Gemeinschaft zu konsolidieren. Dass die Handels- und Investitionsdeals, die aus dieser Position der Schwäche verhandelt werden, für Simbabwe nicht gut sein können, ist ihnen bewusst. Sie nehmen diesen Schaden für persönlichen Machterhalt in Kauf und zugleich verkünden sie stolz Politikansätze wie „Indigenisation“ und „Social Development through Beneficiation and Value Addition“. Für die Opposition und die Zivilgesellschaft ist die Situation alles andere als einfach. Der Russlandkrieg und die Militärcoups in West- und Zentralafrika verändern den Blick auf Simbabwe sehr stark. Insofern sie auf Finanzierung aus der EU angewiesen sind wird sich der Druck erhöhen, mit der eigenen Regierung zu kooperieren und diese somit ungewollt zu legitimieren. Eine Befreiung aus diesem Druck würde bedeuten, nach alternativen Finanzierungsquellen zu suchen. So können Handlungsspielräume für eine stärkere Mobilisierung der Basisgruppen entstehen. Diese kann, falls sie erfolgreich verläuft, eine neue nationale Konsensbildung erzwingen, die deutlich macht, dass die unheilvolle Allianz zwischen nationalen Eliten und ausländischen Machtzentren, die nur die eigenen Interessen im Blick haben, das Land in einen Teufelskreis von Abhängigkeiten bringt. Diesen gilt es zu brechen, indem die wahren Interessen Simbabwes ins Zentrum rücken und alle Kooperationen mit ausländischen Mächten diesen untergeordnet werden. Der aktuelle Kontext zeigt, dass Demokratie und Menschenrechte Werte sind, die so oder so definiert, gefördert oder je nach Interessenlage vergessen werden.
[1] Ein EU-Diplomat sagte einmal dem KASA-Team in einem Gespräch in Harare, dass Simbabwe für die EU nicht so wichtig sei, weil das Land nicht über strategische Ressourcen wie Öl und Gas verfügt, keine Terroristen produziert und keine Quelle von Geflüchteten in die EU ist.