Am 22. September fand im Haus am Dom in Frankfurt die 11. Konferenz Afrika neu denken statt. Die diesjährige Konferenz nahm das 60. Jahr seit der Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) zum Anlass, um einen Blick auf die unerledigten Aufgaben des philosophischen Unterbaus dieser Organisation zu werfen: des Panafrikanismus. Die folgenden Zeilen blicken auf diese Konferenz zurück.
Der Kontext der Konferenz
Die diesjährige Konferenz fand in einem besonderen Kontext statt: Der afrikanische Kontinent sieht sich, wie andere Regionen der Welt, mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie und den Umwälzungen im Zusammenhang mit dem Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine konfrontiert, ebenso mit den in allen Regionen des Kontinents allgegenwärtigen Auswirkungen des Klimawandels. Darüber hinaus fand diese Konferenz statt unter dem durch die Militärcoups vom 26. Juli in Niger und 31. August in Gabun ausgelösten Schock. Diesen Militärcoups gingen diejenigen in Mali, Burkina Faso und Guinea voraus. Für eine Veranstaltung zum Jubiläum der Afrikanischen Einheit ist diese Rückkehr der Staatstreiche keine harmlose Tatsache, sondern ein entscheidender Indikator für die Beurteilung der politischen Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent. So gesehen hat die Aktualität die Gespräche bei Afrika neu denken beeinflusst.
Die Vorträge: Eine kritische Bilanz der Panafrikanischen Organisation und Perspektiven
Die Konferenz begann mit drei Impulsvorträgen, auf die eine intensive Diskussion folgte. Olumide Abimbola von Africa Policy Research Institut (APRI), einem afrikanischen Think Tank mit Sitz in Berlin, eröffnete mit einem Vortrag zum Thema „Von der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) zur Afrikanischen Union (AU). Eine kritische Bilanz.“ In seinen Worten hat Afrika in den 60 zurückliegenden Jahren „sehr gute, gute, weniger gute und überhaupt nicht gute Zeiten erlebt.“ Er betonte, dass in den Augen der Weltöffentlichkeit „Afrika in dieser Zeit aufgestiegen, gefallen, wieder auferstanden und wieder gefallen sei.“ Deswegen war es ihm wichtig, den Blick auf die afrikanischen Initiativen zu lenken, die aus seiner Perspektive dazu beitragen können, dass einige der Probleme, mit denen sich die Länder des Kontinents konfrontiert sehen, zumindest reduziert werden können. Zu diesen Initiativen zählte er die Panafrikanische Freihandelszone (AfCFTA) und die „African Mining Vision“. Er sieht beide Initiativen als komplementär an, da die AfCFTA die strukturelle Transformation des Kontinents durch Industrialisierung anstrebt und die vielen mineralischen Ressourcen des Kontinents nutzen will, die im Zentrum der African Mining Vision stehen. Unverarbeitete Mineralien machen etwa 70 % der afrikanischen Exporte aus. Die African Mining Vision will, dass der Kontinent diese Ressourcen für die eigene Industrialisierung nutzt. Wie er selbst betonte, müssen noch viele Anstrengungen unternommen werden, damit diese Vision Wirklichkeit werden kann. Zu den Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit auf die guten Ideen der AU konkrete Taten folgen können, referierte Rahime Abdou Diallo von der Diaspora Policy Interaktion, auch einem Netzwerk von Expert:innen aus der Afrikanischen Diaspora in Deutschland, die zu Antirassismus, Empowerment und zu weiteren afrika-relevanten Feldern arbeiten. Für ihn fehlt es der Afrikanischen Union an Kohärenz. Autonom im Sinne der Vertretung der genuinen Interessen des Kontinents passe nicht mit der Tatsache zusammen, konstatierte er, dass die AU sehr unterfinanziert ist, viele Mitgliedstaaten ihre kleinen Beiträge unregelmäßig zahlen und somit die AU sich in finanzieller Abhängigkeit von der EU, den USA und China befindet, von Weltmächten, die eigene Interessen in Afrika verfolgen, die zum Teil den Ansätzen und Zielen der AU im Wege stehen. Er konstatierte auch, dass die AU weit davon entfernt sei, ein Korrektiv für die Fehlentwicklungen der Mitgliedstaaten zu sein. Sie hat zahlreiche Protokolle und ähnliche Instrumente zur Förderung von Demokratie, guter Regierungsführung und Menschenrechten verabschiedet. Wenn Mitgliedstaaten diese massiv verletzen, erweist sich die AU als unfähig, Sanktionen zu verhängen. Ganz im Gegenteil haben sich die AU und ihre Vorgängerorganisation zu einem Legitimierungsorgan für diejenigen entwickelt, die demokratische und Menschenrechtsstandards mit Füßen treten. So wurden die ehemaligen Präsidenten Guineas Alpha Condé, Simbabwes R. Mugabe und der aktuelle Präsident der DR Kongo F. Tshisekedi Vorsitzender der Afrikanischen Union zu einer Zeit, als ihre Legitimität auf nationaler Ebene deutlich in Frage gestellt wurde. Bis Ende der 1980er Jahre hatte die Organisation der Afrikanischen Einheit die Reputation ein „Klub zur Verteidigung der Privilegien afrikanischer Diktatoren“ zu sein. Daran hat sich trotz Namensänderung dazwischen nicht viel geändert. Weil die AU diejenigen gewähren lässt, die Wahlen und Verfassungen manipulieren, um ewig an der Macht zu bleiben, Menschenrechten mit Füßen treten und ihre Länder durch Veruntreuungen arm regieren, hat sie große Schwierigkeiten auf die Militärcoups in Mali, Burkina Faso, Guinea-Conakry, Niger und Gabun zu reagieren. Diese Coups wären ohne die erwähnten Missstände nicht denkbar. Aus diesem Grund kann die AU nur halbherzig versuchen, etwa Demokratien verteidigen zu wollen, von denen sie selbst weiß, dass sie keine waren.
Diese Einblicke auf die Funktionsfähigkeit der AU boten einen guten Kontext zu dem von Frauke Banse von der Universität Kassel gewählten Fokus: Sie befasste sich mit der Frage, ob die geopolitischen Umbrüche in der Welt Chancen für mehr politischen Spielraum für Afrika bieten. Dafür analysierte sie die Bedeutung der aktuellen geopolitischen Lage für den afrikanischen Kontinent, wobei ihr Fokus auf der Militärpolitik mit besonderem Augenmerk auf die Terrorbekämpfung und auf der Wirtschafts- und Migrationspolitik lag. Im Blick auf die Wirtschaftspolitik stellte sie fest, dass der afrikanische Kontinent ins Zentrum einer globalen Konkurrenz geraten ist. Der afrikanische Kontinent gewinnt an geostrategischer und ökonomischer Bedeutung auch für Deutschland. Deutschland und die EU sehen in afrikanischen Ländern wichtige Standorte für die Diversifizierung von Energie- und Rohstoffquellen, sowie von Beschaffungs- und Absatzmärkten. Diese Wahrnehmung Afrikas, die in entsprechenden Wirtschaft- und Investitionsabkommen Ausdruck findet, zementiert eine koloniale Arbeitsteilung, in der afrikanische Länder Rohstofflieferanten bleiben, während die Wertschöpfung nach wie vor außerhalb des Kontinents entsteht. Die weitere schlechte Nachricht ist, dass der Rohstoffboom in vielen Ländern des Kontinents mit einer Verschärfung der Verschuldung und der Illicit Financial Flows einhergeht. Ihr Fazit lautete, dass der sich durch die neue geopolitische Lage ergebende Spielraum von Akteuren außerhalb des Kontinents genutzt wird, die über bessere Instrumente verfügen, um die finanziellen und materiellen Ressourcen des Kontinents zu kontrollieren, als die Ankündigungen der Afrikanischen Union und der regionalen Blöcke es vermögen.
Die Workshops und die Abendveranstaltung
Vor der Workshopsphase bekam die Konferenz Besuch von „Mime Art for Life e.V.“ aus Südafrika, die zu diesem Zeitpunkt auf Deutschlandtournee war und an dem Tag sogar zu Gast in einer Frankfurter Schule. „Mime Art for Life e.V.“ macht Pantomimen, in denen brennende gesellschaftliche Themen unter Beteiligung des Publikums aufgegriffen werden, um somit den Dialog zu fördern. So gesehen war der Auftritt dieser Gruppe eine gute Überleitung zu den Arbeitsgruppen, in denen der Austausch unter den Teilnehmenden im Mittelpunkt stand. Die Workshops griffen viele der Themen auf, die in den Vorträgen und der darauffolgenden Diskussion skizziert wurden. Die drei Workshops zu Extraktivismus in Afrika für die grüne Transformation in Europa unter der Leitung von Frauke Banse, zur Zukunft der Panafrikanischen Freihandelszone mit Boniface Mabanza und zur Rolle der afrikanischen Diaspora für die Transformation Afrikas unter der Leitung von Maimouna Outtara, Promotorin zur Stärkung der migrantischen Zivilgesellschaft in Berlin boten eine gute Gelegenheit zur Vertiefung einzelner Aspekte der Vorträge und zum Entwurf von Lösungsansätzen zu den dringenden Problemen der afrikanischen Integrationsprozesse 60 Jahre nach den ersten institutionalisierten Impulsen. Den Schlusspunkt der diesjährigen Veranstaltung setzten die Schriftstellerin Aya Cissoko und die Band Sauti é Haala. Aya Cissoko las aus ihrem neuen Buch „Kein Kind von Nichts und Niemand“ vor. Mit ihr entwickelte sich ein berührendes Gespräch über Identität, Ausgrenzung, Rassismus und Kampf um Anerkennung, welches die Brücken zu den Themen der Vorträge und der Workshops deutlich machte. Ähnlich verlief es mit dem Auftritt der Band Sauti é Haala, an dem Abend vertreten durch Rahime Diallo und Zaida Horstmann. Beide verbinden afrikanische Welten, Regionen und Sprachen, die sie in selbstgeschriebenen politischen Texten zum Ausdruck bringen. Ebenso verbindet beide auch die Selbstverpflichtung, die Erinnerung an May Ayim, eine Identifikationsfigur der afrikanischen Diaspora in Deutschland, lebendig zu halten. Ihre Gedichte wurden an diesem Abend vorgetragen, wie jedes Mal wenn Rahime Diallo und Zaida Horstmann auftreten. Die Gedichte von May Ayim in der Kombination mit den Texten und Erfahrungen von Aya Cissoko machten den Abend unvergesslich.
Fazit
Mit knapp über 70 Teilnehmenden bleibt Afrika neu denken, verglichen mit ähnlichen Veranstaltungen in diesem Jahr, eine gut besuchte Veranstaltung, auch wenn die Besucher:innenzahl im Vergleich zum letzten Jahr zurückging. Es hat sich wieder bewährt, ein historisches Ereignis wie die Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit zum Anlass zu nehmen, um strukturelle Fragen, die den afrikanischen Kontinent betreffen, zu diskutieren. Die Zuspitzung der Ereignisse u.a. mit den Militärcoups in Niger und Gabun und die Handlungsunfähigkeit der Afrikanischen Union haben die Relevanz und Aktualität der ausgewählten Themen bestätigt. 60 Jahre nach der Gründung des kontinentalen Zusammenschlusses bleibt Afrika ein von ausländischen Interessen und deren Kriterien definierter Kontinent. Viele Länder des Kontinents haben seit Anfang der 1990er Jahre mehrere Milliarden Euro für Wahlen ausgegeben, die keineswegs dazu beigetragen haben, gelebte und partizipative Demokratien zu etablieren. Die politische Instabilität ist in vielen Ländern dauerhafte Realität und in deren Zentrum steht die Legitimität derer, die diese Länder regieren. Ihr Zugang zur Macht und ihr Umgang damit werden von den meisten ihrer Mitbürger:innen nicht akzeptiert. Sobald eine Krise kommt, wenden sich Menschen ab und unterstützen diejenigen, die ihnen versprechen, mit der Machtausübung anders umzugehen. So ist der Beifall fürs Militär in Westafrika und in Gabun zu erklären. Wer darin eine Ablehnung der Demokratie sieht, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Vielmehr handelt es sich um eine Ablehnung der Scheindemokratien, der Demokratien der Alternativlosigkeit in der Wirtschaftspolitik und der Demokratien korrupter und ineffizienter Regierungsführung. Auch dem Militär in den benannten Ländern droht das gleiche Schicksal, falls die versprochenen Alternativen nicht kommen, die Klarheit darüber schaffen, wie der Zugang zu Macht geregelt wird, wie die Kontrolle funktioniert, welche Mechanismen der Absetzung im Falle von Machtmissbrauch etabliert werden und wie es um die ökonomische Souveränität steht. Somit wäre die Instabilität in diesen Ländern vorprogrammiert, die sie daran hindert, ihren Reichtum für die eigene Bevölkerung nutzbar zu machen. Angesichts dieser Trends erheben sich Stimmen, selbst aus den Reihen der Afrikanischen Union, die dringend fordern, tiefgehende Veränderungen anzustoßen. Die von der Afrikanischen Union etablierte Kommission für die Erkundung institutioneller Reformen in Afrika stellte in ihrem Vorbericht die Frage: „Was ist für die Menschen in Afrika wichtiger: Fremde Modelle reproduzieren oder den eigenen Pfad zur Verwirklichung ihrer tiefsten Wünsche beschreiten? An der Beantwortung dieser Frage wird sich zeigen, ob die Afrikanische Union in den nächsten 60 Jahren relevanter sein wird, als sie es in den 60 vergangenen Jahren sein konnte. Von dieser Frage hängt ab, ob der Traum von Patrice Lumumba Wirklichkeit werden kann, dass „Afrika eines Tages ihre eigene Geschichte schreiben wird.“