Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

Afrika neu denken 2021: „Beyond the Museum: Keine Restitution ohne Reparation. Keine Reparation ohne Rehabilitation“

Afrika neu denken 2021

Am 27. September fand im Haus am Dom in Frankfurt am Main und digital die Konferenz „Afrika neu denken 2021“ statt, die von der KASA in Kooperation mit der Katholischen Akademie Haus am Dom, Medico International, dem Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen und dem Zentrum Ökumene getragen wird. Finanziell wurde die Konferenz, abgesehen von den Beiträgen der beteiligten Organisationen, von Brot für die Welt, vom Bistum Limburg und von der Evangelischen Kirche in Baden unterstützt. Das diesjährige Thema lautete „Beyond the Museum: Keine Restitution ohne Reparation. Keine Reparation ohne Rehabilitation“. Die Konferenz fand nur ein paar Tage nach der Eröffnung des Humboldt Forums am 23. September im wiederaufgebauten Stadtschloss Berlin statt. Daran erinnerte ich in meiner Einführung in die Konferenz. Eingeweiht wurden im Humboldt Forum u.a. die ethnologischen Abteilungen, die bislang noch nicht zugänglich waren. Die darin enthaltenen „Kunst“-Werke, etwa aus Afrika und Südamerika, sollen nach der Intention der Macher:innen demonstrieren, wie weltoffen Deutschland ist. Aber bei der Eröffnung des Humboldt Forums kam keine Feierstimmung auf, weil es mittlerweile dank des Aktivismus von postkolonialen Gruppen und des Engagements vieler Wissenschaftler:innen Teil des öffentlichen Diskurses ist, dass einige der bekanntesten „Museumsobjekte“ koloniale Raubkunst sind.

Bundespräsident Steinmeier wies bei der Eröffnung zurecht darauf hin, dass hinter diesen „Objekten“ eine „Geschichte von Unterwerfung, Plünderung, Raub und Mord“ steht. Aber die schärfste Kritik formulierte die zu diesem Anlass eingeladene und angesichts der Kontroversen rund um das Humboldt Forum sehr überraschend anwesende nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Sie sprach von einer „paternalistischen Arroganz der erstaunlichsten Sorte“ und zwar im Blick darauf, „dass die Nachfahren der Räuber den Nachfahren der Beraubten heute unterstellen, sie könnten gar nicht angemessen auf die Kunstwerke aufpassen, jedenfalls nicht so gut wie die Diebe.“

An manchen Orten, so habe ich es vernommen, wird sogar mit dem deutschen Grundgesetz argumentiert, um zu rechtfertigen, dass geraubte Kunstobjekte immer noch in deutschen Museen bleiben. Aus „Eigentum verpflichtet“ wird abgeleitet, dass etwa deutsche Museen eine Sorgfaltspflicht für die Sammlungen haben, die in ihrem Besitz sind. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass eine Rückgabe nur erfolgen kann, wenn die aktuellen Besitzer sicher sind, dass die zurückgegebenen „Objekte“ fachgerecht geschützt werden können. Aber so weit sind die meisten mit Restitutionsansprüchen konfrontierten Museen und Institutionen noch nicht. Fast alle argumentieren, dass sie mehr Zeit für die Erforschung der Bestände bräuchten. In ihrer Rede merkte Chimamanda Ngozi Adichie ironisch an, dass diese Institutionen die Zeit für den Museumsbau hatten, wie das Humboldt Forum es zeigt, nicht aber für die Erforschung dessen, was in diesen Museen untergebracht wird. Es stellt sich die Frage, von welcher Forschung die Rede ist. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass sie sich auf die Provenienz beschränkt, also die Zu- und Einordnung der „Objekte“. Solch ein reduktionistischer Ansatz kann nicht den Vorwurf entkräften, dass die hiesigen Institutionen „Objekte“ in ihren Vitrinen und Depots verwalten, von denen sie nichts oder nur wenig darüber wissen, warum sie hergestellt wurden, wofür sie stehen.

Genau auf diese Frage fokussierte sich „Afrika neu denken 2021” fokussiert. Die Referent:innen rückten im Plenum und in den Workshops die Frage nach der Bedeutung der so genannten Kunst-Werke damals und heute in den Vordergrund. Alle plädierten dafür, die Frage nach Restitution von der musealen Logik zu befreien, um sie in den Gesamtkontext von Kolonialismus, dessen Zerstörung für Menschen und Kulturen in den Kolonien und dessen Auswirkungen auf heutige Strukturen politischer, wirtschaftlicher und kultureller Dominanz zu stellen. Es wurde deutlich, dass die „Musealisierung“ der so genannten „Objekte“ eine Zweckentfremdung gefördert hat, welche nur durch die Miteinbeziehung der Wissenstraditionen der beraubten Gesellschaften korrigiert werden kann. Die Aktivierung dieser Wissenstraditionen stellt eine besondere Herausforderung dar, nicht nur weil Kolonialismus eine Auslöschung der Traditionen der Kolonien betrieb, sondern auch weil diejenigen Traditionen, die überlebt haben, immer unter Verdacht stehen, vom Kolonialismus „korrumpiert“ worden zu sein. Eine Rekonstruktion ausgehend von den Brüchen, die der Kolonialismus verursacht hat, ist möglich und sie wird an vielen Orten auch versucht. Dies bietet die Chance für eine neue Ein- und Zuordnung der so genannten „Objekte“, welche sich an anderen Kriterien orientiert als an der Feststellung ihrer geographischen Herkunft und der Epoche ihrer Herstellung. Damit der Dialog zwischen beraubten und hiesigen Gesellschaften, der von Entscheidungsträger:innen in Politik und Kultur immer wieder beschworen wird, wirklich zustandekommen kann, müssen die hiesigen Vitrinen und Depots leerer werden. Die Entleerung wird ermöglichen, dass die darin enthaltenen „Objekte“ an Bedeutung gewinnen. Dies bedeutet auch, dass es falsch ist, davon auszugehen, dass diese „Objekte“ auch in den Herkunftsländern ihre Heimat in Museen finden müssen. Dieses Missverständnis wurde bei „Afrika neu denken” in diesem Jahr sehr ausgiebig diskutiert.  Die Konferenz machte darüber hinaus deutlich, dass sich das Entleeren von Vitrinen und Depots nicht auf Museen beschränken darf. Vielmehr ist damit auch die Aufgabe verbunden, die aus kolonialen Selbst- und Fremdbildern und die darauf beruhende unsichtbare Norm des Eigenen abgeleitete Deutungshoheit abzulegen und die eigene Sprachmacht zu reflektieren. Das heißt: aufhören, sich breit zu machen, damit die kolonisierten, gedemütigten und beraubten Gesellschaften mit ihren Stimmen, Perspektiven und gebrochenen Traditionen eine Chance bekommen, sich neu zu erfinden. Letztendlich geht es darum, mit einem belastenden Erbe so umzugehen, dass die Beschädigten ihren gerechten Platz finden und ihre Potentiale entfalten können.